Der "Lebenslauf des Gottfried Schnetger" - wie wir in Deilinghofen an dieses Büchlein kamen und was genau in dem ungewöhnlichen Lebenslauf drinsteht...

 
In memoriam Harald Korsch-Gerdes (1954-1997), der Freund und Heimatforscher,
dem wir das Büchlein verdanken


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Es geht im Folgenden um dieses Thema:
"Gottfried Schnetger (1770 bis 1861), der Gutsbesitzer in Machern bei Leipzig

Vom geheimnisvollen Lebensweg eines Deilinghofers in der Goethe-Zeit"



Gottfried Schnetger mit Henriette Schnetger geb. Hansen
Gemälde von 1802 von
Johann Friedrich August Tischbein (1750-1812)
 

Zu Schnetgers handgeschriebener Lebensbeschreibung, die auf wundersame Weise (nach Irrfahrten quer durch Deutschland) in den Besitz der Kirchengemeinde Deilinghofen gelangt ist... Dazu im Folgenden ein Zeitungstext aus dem IKZ aus dem Jahr 1995, geschrieben von Harald Korsch-Gerdes, der schildert, wie das Original von Gottfried Schnetgers Lebensbeschreibung nach Deilinghofen kam.

Zuerst aber die Abbildung der mit Kirchensiegel versehenen Bescheinigung über Gottfried Schnetgers Vater und die Mutter, die Jahrzehnte danach anno 1805 Pfr. Basse in Deilinghofen unterschrieb (diese Bescheinigung lag Schnetgers selbst geschriebener Lebensbeschreibung bei):

Da steht: *Herr Caspar Diederich Schnetger wurde im Jahr
1753 d. 23. Aprill zum Cantor und Schullehrer
in hiesige Gemeine berufen an die Stelle des ver-
storbenen Herrn Joh. Goswin Mollerus, dessen
nachgelassene Wittwe Anna Maria Margaretha Feldhaus
er im Jahre 1754 d. 7. März [...] heirathete.
Über fünf und zwanzig Jahr stand er diesem, seinem
ihm anvertrauten Berufe treu und gewißenhaft
vor. Sein Andenken ist noch unter uns im Segen,
1778, d. 18ten Aprill wurde er allhier
beerdigt. Dieses wird mit hiesigem Kirchenbuch
bescheinigt und mit [...] Unterschrift und
beygedruckten Kirchensiegel attestiert.
Deilinghofen Kreis Iserlohn, d. 5ten May 1805"

 

 

 

 

 

 

 




Historischer Text von Harald Korsch-Gerdes (geschrieben im November 1995)
 - exklusiv für den Iserlohner Kreisanzeiger (IKZ), Redaktion Hemer
[damals stand der Name Schnetger in Hemer zum ersten Mal überhaupt  in der Zeitung!]

Da staunte der Heinrich Brüsecke aus Ihmerterbach, passionierter Sammler historischer Ansichtskarten, am vergangenen Montag nicht schlecht, welche hektische Betriebsamkeit er beim evangelischen Pfarrer von Deilinghofen Dr. Friedhelm Groth auslöste. Er hatte in Wuppertal auf einer Sammlerbörse alte Dokumente von einem Händler aus Berlin erworben und weil er nur "Deilinghofen" und "Basse Pastor" entziffern konnte, fragte er halt in Deilinghofen beim Pastor nach und war prompt an den bzw. genauer an die Richtigen geraten. Harald Korsch-Gerdes hat inzwischen die Unterlagen gesichtet und schreibt dazu: Man mag schon fast nicht an Zufall glauben, daß gerade uns, den Herausgebern der "Blätter zur Deilinghofer Kirchengeschichte" dieser heimatgeschichtlich äußerst wertvolle Fund zur Begutachtung vorgelegt wurde. Passen sie doch zeitlich genau in die Welt des Bandes 3, die Zeit von 1765 - 1835 [PDF-Download des gesamten Bandes BDKG 3 HIER]. Es handelt sich [dazu Abbildung oben!] einmal um eine Art Sterbeurkunde, die Pastor Basse 1805 ausfertigte, der übrigens der besterhaltenen Abdruck des Ur-Kirchensiegels von 1766 beigefügt ist. Es geht dabei um niemand anderes als um Caspar Diederich Schnetger, der von 1753 - 1778 Küster in Deilinghofen war. Diese Stelle erhielt er nur, weil er sich verpflichtet hatte, die Witwe seines Amtsvorgängers Johan Goswin Mollerus, Anna Marg. Oberfeldhaus gnt. Schütte aus Brockhausen, zu heirateten. Bis 1764 war er auch Lehrer, mußte dieses Amt dann aber unter noch nicht geklärten Umständen aufgeben. Nun hoffte Dr. Groth, durch das zweite wertvollere Dokument Licht in einige noch ungeklärte "Geheimnisse" der Deilinghofer Kirchen- und Schulgeschichte zu bringen. Es handelt sich um einen 63-seitigen Lebensbericht, den der jüngste Sohn des Küsterehepaares 1847 im Alter von 77 Jahren fern der Heimat, wo er zu Geld, Ruhm und Ansehen gekommen war wiederum für seinen Sohn verfaßt hatte. Er war am Heiligen Abend des Jahres 1770 in Deilinghofen geboren worden und seine Rufnamen Gottfried Wilhelm trug er nach keinem Geringeren als seinem Taufpaten, dem bedeutenden Deilinghofer Pastor Gottfried Wilhelm Andreas Dümpelmann (in Deilinghofen von 1765 bis 1791) - einem "Herrnhuter", wie Schnetger jun. in seinen Erinnerungen extra ausführt.
Nun, die Klärung der "großen Geheimnisse" blieb aus, aber die 14 Seiten über seine Jugend in Deilinghofen von 1770 - 1786 gehören zu den schönsten und lebendigsten Berichten, die wir aus der Zeit haben. Schnetger schwärmt regelrecht über seinen Geburtsort, von der "schönen Lage, am Fuße eines hohen 2 Stunden langen Berges - Balverwald genannt - ein fruchtbares Thal, treibt nur Landwirthschaft", erwähnt die "berühmte Fabrikstadt Iserlohn" und sogar die Alte Höhle in Sundwig, in der er wohl als Jugendlicher oft gewesen war. Ins katholische Ausland (Kurköln - jenseits der Hönne) gingen die Deilinghofer gern, um das "Schimpfen der Pfaffen auf die Lutheraner" bei Prozessionen zu hören, mußten aber aufpassen, nicht entdeckt und "todtgeschlagen zu werden". Dann kommt Schnetger ausführlich auf seine Lebensumstände zu sprechen, auf seine Familie, auf einen Einbruch in die Küsterei 1778, nachdem der Vater gestorben war, und auf deren Abbrennen im gleichen Jahr. Den Achtjährigen hatte man vermißt und fand ihn erst am nächsten Tag schlafend im Garten. Schnetgers/Mollerus besaßen das Haus in den Klippen "im städtischen Style gebaut&qukirchenkreisot;, in dem damals Bergleute wohnten und hatten das Spiekermannsgut gepachtet (Recht Ecke Beginn Brockhauser Weg / Hönnetalstraße). Man betrieb Landwirtschaft und eine Gaststätte, in der sich Gottfried Wilhelm sehr wohlfühlte. Als Jugendlicher mußte er schon hart arbeiten und beschäftigte sich viel mit dem Herstellen von Backwaren, was er genauestens beschreibt. Sein Stiefbruder Gottfried Mollerus, später Kirchenältester, aber auch ein bedeutender Wild- und Forstdieb, gab ihm auch darin Unterricht, was aber nur zwischen den Zeilen vorkommt. Bevor er 1786 nach Leipzig zieht, um bei der Iserlohner Kaufmannsfamilie v.d. Becke im dortigen Handelshaus eine Lehre zu beginnen, wird er noch von seinem Paten Pastor Dümpelmann im Alten Pastorat konfirmiert. Es ist die erste persönliche Beschreibung, die wir von diesem Mann haben: "ein großer starker Mann ... immer ernsthaft und strenge". Zum Unterricht notiert Schnetger noch: "Etwas anderes als Religion kam nicht vor".
Es dürfte sinnvoll sein, den ganzen Text in der Heimatvereinszeitschrift "Der Schlüssel" zu veröffentlichen, auch wenn der größere Teil, mit ausgedehnten Reisebeschreibungen von Holland und England, mehr zur Handelsgeschichte Iserlohns gehört. Ob er je wieder in Deilinghofen war, schreibt er nicht, 1795 heiratet er in eine bedeutende Kaufmannsfamilie ein, hat selber ein Handelshaus und landet im fortgeschrittenen Alter wieder bei seiner doch geliebten Landwirtschaft und kaufte sich ein großes Gut in Machern / Sachsen.
 


Es folgt die gesamte wortgetreue Abschrift, die von vorne bis hinten von Paul Kramme (früher IKZ-Redakteur in Hemer) in freundschaftlicher Gemeinschaftsarbeit mit Friedhelm Groth entstanden ist.
[Voll veröffentlicht am 20.03.2023.D ie historische Schreibweise Schnetgers wurde voll erhalten. ]


Mein Lebenslauf.

Aus dem Gedächtnis niedergeschrieben im December 1847
und meinem Sohn übergeben am Todestag seiner Mutter am 3. März 1848.

Mein lieber Sohn! Die Lebensgeschichte eines Menschen hat immer etwas Interessantes auch wohl Belehrendes, selbst dann, wenn der selbe uns auch nicht nahe steht. Destomehr wird es dich hoffentlich erfreuen, wenn Du den ganzen Lebenslauf Deines Vaters erfährst, den ich Dir hiermit überreiche. Dabei muß ich bedauern, daß ich nie ein Tagebuch gehalten, - was ich Jedem empfehle - und alles aus dem Gedächtnis entnommen habe, was in meiner 77jährigen Laufbahn vorgefallen.

Die Hauptbegebenheiten, von meiner frühesten Jugend an wirst Du darinnen finden. Meine Lebensgeschichte wirst Du zuweilen wunderbar, vielleicht auch etwas romanhaft finden, aber ich versichere Dir, daß sich alles so zugetragen, wie ich es hier gebe. - Wenn ich mitunter etwas weitläufig gewesen, so habe ich dabei bedacht, Dich auch mit Sachen bekannt zumachen, die mit meiner Geschichte mehr oder weniger in Verbindung stehen. Du wirst sehen, wie mich die Vorsehung von der Stufe, worauf ich als Jüngling gestanden bis zu der, wo ich jetzt stehe, gehoben hat.- Treu geleistete Dienste meinen Vorgesetzten, strenge Rechtlichkeit, Thätigkeit und Häuslichkeit sowie eifriges Bestreben nach Selbstbildung durch Umgang mit älteren, erfahrenen, gebildeten Männern und guten Büchern, haben dazu beigetragen. Unterricht in höhern Wissenschaften ist mir nicht zu Theil geworden. Die wenigen Kenntnisse, die ich besitze, habe ich mir durch Fleiß selbst erworben. Auch jetzt in meinem hohen Alter setze ich meinen Selbstunterricht fort und ergreife jede Gelegenheit, die sich mir darbietet, noch zu lernen. Vielleicht würde dies nicht der Fall sein, wenn ich wohlhabende Eltern und von diesen eine Erbschaft zu erwarten gehabt hätte. Möge doch dieses meinen Enkeln als Beispiel dienen und sie beherzigen, daß das, was man sich selbst erwirbt, sei es Kenntniß oder Vermögen, immer Seegen und gute Früchte bringt und angenehme Erinnerungen, zeitlebens, erweckt.

Zur Bedingung mache ich Dir, daß Du diesen meinen Lebenslauf niemand mittheilst, bis ich von dieser Welt geschieden. Aber auch dann nur den wenigen, die Du als gegrüßte Freunde dazu für würdig findest.

Deilinghofen.
Ein großes Preußisches Dorf und bedeutendes Kirchspiel in der Grafschaft Mark in Westfalen mit Kirche, Schule und mehreren eingepfarrten Dörfern  und kleineren Ortschaften Lutherischer Religion, ist der Ort, wo ich den 24. December 1770 Abends 10 Uhr das Licht dieser Welt erblickt habe.

Deilinghofen hat eine schöne Lage, am Fuße eines hohen 2 Stunden langen Berges - Balverwald genannt - ein fruchtbares Thal treibt zur Landwirtschaft, hat einen Steinbruch wo Platten pp gebrochen werden. Es ist entfernt 1,5 St von der in ganz Europa berühmten Fabrikstadt Iserlohn, 2 St von der Fabrikstadt Altena, der Sitz der ehemaligen Grafen von der Mark, 2. St von Balve 1 1/2 St von Menden. Balve und Menden gehörten damals dem Churfürsten von Cöln und waren streng katholisch. Bei Processionen gingen die Lutheraner dahin um das Schimpfen der Pfaffen auf Luthern und die Protestanten anzuhören und über ihr Verdammen zu lachen. Doch mußte man sich sehr verbergen um nicht todtgeschlagen zu werden. In Deilinghofen hatte ein Herr Mollerus ein Privat-Institut zur Erziehung vornehmer begüteter Kinder errichtet und die schöne, wohlerzogene Tochter eines Bauerngutsbesitzers aus Brockhausen ½ St von Deilinghofen entfernt, geheirathet. Mollerus war nicht lange darauf gestorben und hatte einen Sohn mit Namen Johann Goswin hinterlassen. Dieser Mollerus hatte einen Bruder, der zu Fuß nach Herzogenbusch ging, im Handel viel verdiente und dessen zwei Enkel jetzt Gesandte an Europäischen Höfen sind. Mein Vater Caspar Dietrich Schnetger aus Werdohl gebürtig wurde sein Nachfolger und heirathete auch dessen Witwe. Meine Eltern hatten mehrere Kinder, wovon drei am Leben geblieben. Eine Tochter Elisabeth heirathete einen Schullehrer genannt Hinselmann in Evingsen - ½ St von Altena - ein Dorf worin fast lauter Drahtzieher, aber auch zwei große Güter waren. Eines gehörte dem Herrn von Lebebur und das andere Pieper. Es war auch nach Iserlohn 2 Stunden weit eingepfarrt. Von Evingsen bis Altena ist ein enges Thal und ein Fluß, der viele Drathrollen treibt. Einen Sohn Dietrich. Dieser lernte in Iserlohn in einem Stahlwarengeschäft ging nach Holland, sich zu vervollkommnen, wurde sehr geschickt, ergab sich aber später dem Trunk bis an sein Ende. Das dritte und jüngste Kind war ich Gottfried Wilhelm Dietrich Schnetger - den Dietrich habe ich aber der Kürze halber weggelassen. Mein Vater starb, als ich etwa 5 Jahre alt war und ich kann mich seiner nur dunkel erinnern, weil er mich immer mein Benjamin nannte. Meine Eltern waren nicht wohlhabend, hatten aber ihr gutes Auskommen.

Bald nach dem Ableben meines Vaters hatte meine Mutter viel Unglück. Es wurde in einer Nacht eine Kammer erbrochen, worin ihre werthvollen Sachen, Kleidungsstücke, Silbergeräth pp waren, und alles gestohlen. Nie sind die Diebe entdeckt worden. Kurze Zeit nachher brannte das Haus worin wir wohnten, und der Gemeinde gehörte, des Nachts ab und faßt alles, was wir noch besaßen wurde ein Raub der Flammen. Mich hatte man während dem Feuer vermißt und erst den anderen Morgen im Garten hinter einem Baume, schlafend wieder gefunden. Meine Mutter hatte ein Haus oben im Dorf auf einem hohen Felsberge, die Klippe genannt, im städtischen Style gebaut, was aber alt war, mit einem Kamp, der als Feld benutzt wurde, was nur ein paar Thaler Miethe kostete von Bergleuten die bei Sundwig Eisenstein zu Tage brachten, der in Rödinghausen geschmolzen wurde. - Bei Sundwig ist eine berühmte Tropfsteinhöhle, die nach alter Sage bis Balve gehen soll. Ich war oft darin da es nur ½ Stunde von Deilinghofen war. - Aus diesem  Haus war eine herrliche Aussicht über das Dorf bis Iserlohn und mehrere Orte.


Mein Vater, der schon lange kränklich gewesen und sein nahes Ende gefühlt, hatte meine Mutter bewogen, schon bei seinem Leben, ein ihrer jetzigen Wohnung ganz nahe liegendes hübsches Bauerngut, welches dem Landrichter Pütter in Altena gehörte, zu pachten und sich davon mit ihren Kindern zu unterhalten. Meine Mutter widmete sich nun nicht alleine der Landwirtschaft, sondern legte auch in dem geräumigen Hause eine Gastwirtschaft, Brauerei und Bäckerei im Kleinen an, womit sie Glück hatte. - Dieses Gut kaufte einige Jahre nachher mein Stiefbruder Goswin und ich borgte ihm das Geld dazu, habe aber nie Zinsen noch Kapital zurück erhalten. - Meine älteren Geschwister unterstützten sie. Die günstige Lage dieses Hauses nahe an der Kirche und Landstraße, brachten viel Zuspruch. Aber nun bekam die gute Mutter wieder neue Sorgen. Elisabeth war verheirathet, Goswin war Soldat und Dietrich trat seine Lehre in Iserlohn an. Dieses verursachte nicht alleine viel Ausgaben, sondern sie verlor auch ihre Gehilfen und mußte nun mit Gesinde arbeiten. Durch Klugheit und Gewandheit hat sie aber ihr Geschäft mit Glück fortgesetzt.


Meine Geschwister hatten beim Vater guten Unterricht erhalten, ich aber noch gar keinen. Die Lehranstalt meines Vaters hörte mit seinem Tode auf. Ich mußte nun in die Dorfschule gehen, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, wobei meine gute Mutter mich sehr unterstützte. Um jedoch bessere Fortschritte zu machen, schickte sie mich nach Evingsen zu meinem Schwager. Hier lernte ich in kurzer Zeit viel, weil ich mir unendliche Mühe gab, um bald wieder nach Hause zu kommen. Ich würde aber noch mehr gelernt haben, wenn ich nicht, außer der Schule, viel häusliche Arbeiten, als Graben im Garten, Holzmachen und dergleichen hätte verrichten müssen. Mein Schwager behandelte mich überhaupt sehr hart und tirannisch, und ich war froh, als meine Mutter mich wieder nach Hause verlangte, um ihr in der Wirtschaft beizustehen. Ich war jetzt ungefähr 10 Jahre alt, munter, gesund und kräftig, konnte überall Hülfe leisten. Die Bedienung der Gäste machte mir Vergnügen, man spaßte mit mir, neckte mich, wodurch ich lernte, wieder zu antworten und mit Leuten umzugehen.


Das Weißbrodbacken konnte nur im Kleinen gemacht werden, weil der Absatz nicht groß und unser Vermögen nicht erlaubte viel Weizen auf Einmal zu kaufen. Da ich immer dabei half, und es gut machte, so überließ mir meine Mutter dieses Geschäft bald ganz alleine. War das Weißbrod verkauft, und es war Schwarzbrod noch vorrätig - Schwarzbrod ist Pumpernickel (von pour Nickel) - so daß keine Fuhre gebraucht wurde, so lief ich mit einem Sack nach Hemer, kaufte einen Berliner Scheffel Weizen, trug ihn in dasige Mühle, ließ ihn ganz fein mahlen und trug das Mehl auf dem Kopfe eine Stunde weit nach Hause. Dieses wurde mir freilich, im Sommer besonders, bei großer Wärme, beschwerlich; doch was man aber gerne und mit Liebe thut, wird einem nicht sauer. Zu Hause angekommen, band ich meine weiße Schürze vor, sonderte durch ein Sieb die Kleie ab, nahm dann ein feines Florsieb, ließ das Mehl durchlaufen und bekam so das feinste Mehl, wovon ich Weißbrod, Stuten genannt, und Plätze backte. Stuten wurden länglich von zweierlei Größe gemacht. Plätze ähnlich dem Propheten-Kuchen wurden rund gemacht und mit Salz bestreut. Von dem Mehl, was im Sieb blieb, wurden runde Brode - Grandstuten genannt - gebacken. Die Kleien bekam das Vieh in die Tränke. Zu Weihnachten wurde viel Weißbrod gebacken, Hedwigen genannt. Rund zweierlei Größe, aber mit Prezeln und anderen Figuren geziert. Alle Leute beschenkten sich damit, und jeder Pathe bekam einen. Auch Brandwein, den wir nur von Iserlohn beziehen durften, verschenkten wir. Da dieser aber in Menden viel wohlfeiler war, so ging ich oft selbst des Nachts dahin und schmuggelte in einem Fäßchen oder Krugen soviel ein, als ich tragen konnte.


In früheren Jahren hatte eine adelige Familie von Bromberg ein Gut in Deilinghofen besessen. Das Haus wurde jetzt von einer Frau, die sich von Düth nannte und zwei uneheliche Kinder hatte, bewohnt, war aber ganz zerfallen und die Leute mußten sich mit Händearbeit ernähren. - In Deilinghofen war noch ein Gasthof. Da wir aber das Glück hatten, den meisten Zuspruch zu haben, so besserten sich unsere Umstände. An Sonntagen hatten wir immer viel Gäste. Entfernte Eingepfarrte kehrten bei ihrem Kirchgange bei uns ein und verzehrten immer etwas. Nach dem Nachmittags-Gottesdienst kamen manche zum Bier, Kegeln und Kartenspiel. Kartengeld wurde nicht verlangt. Dagegen aber mußten die Verlierer an die Gewinner in Plätze, zu 1 Stüber das Stück, bezahlen. Ich stand immer an den Spieltischen, und wenn ein Spiel beendigt, legte ich den Gewinnern ihre gewonnenen Plätze hin und ließ mir von den Verlierern gleich das Geld dafür geben. Oft gingen alle Plätze ab und ich mußte den anderen Tag wieder Mehl holen und backen. Auch fremde Reisende von allen Ständen sprachen zuweilen ein und blieben auch wohl Nachts bei uns. Da ich sie immer bedinete, lernte ich mit menschen umgehen, wurde gewandter und erhielt Beifall. Ich glaube, daß dieses vielleicht viel auf meine Zukunft gewirkt hat. Es ist gewiß, daß Umgang mit Menschen den Menschen bildet.


Mein Stiefbruder Goswin Mollerus hatte mit viel Mühe und Kosten den Abschied erhalten, heirathete die Tochter eines großen Gutsbesitzers zu Beingsen, namens Louise Beingsen, eine Stunde von Deilinghofen, erhielt damit eine hübsche Ausstattung, aber wenig Geld, weil das Gut immer der älteste Sohn bekam. Da die junge Frau sich nicht zur Gastwirthin schickte, so trieb meine Mutter diese alleine. Goswin mit seiner Frau besorgte nun die ländlichen Arbeiten und machte auch zuweilen kleine Geschäfte mit Holz, Pottasche und dergleichen. - Wir wurden auch veranlaßt den Zoll in Pacht zu nehmen. Es mußte nämlich alles Vieh, leer oder angespannt, was aus dem Kölnischen kam, in Deilinghofen, als dem ersten Grenzorte, Zoll bezahlen. Auch die Juden mußten die Person ein Stüber Zoll geben. - Durch die gute Wirtschaft und Sparsamkeit hatten wir es doch wieder so weit gebracht, daß wir anständig leben konnten.


Auch ich verdiente mir zuweilen ein kleines Taschengeld. Waren große Hochzeiten oder Kindtaufen, so wurde ich gebeten, dahin zu kommen und das Brod dazu zu backen. Dieses Brod war von Weizenmehl und nur die Kleien abgesondert, rund geformt und jeder Gast bekam ein Brod. Ich erhielt für meine Arbeit 1 Thaler. Zu solchen Festen wurden wohl 100 bis 150 Personen eingeladen. Sie waren gewöhnlich im Sommer und es wurde im Freien gekocht und an langen Tafeln gespeißt, und dauerten drei Tage. Nach dem Essen opferte jeder Gast der Braut ein Geschenk an Geld, was der Pfarrer und Schulmeister einnahmen, aufschrieben und der Braut nachher übergaben. - Im Herbst bis tief in den Winter stellte ich Donen, worin ich Krammetsvögel fing. Hatte ich einige gefangen, so trug ich sie nach Iserlohn zum Verkauf. Für Amseln, Zippen und Weindrosseln bekam ich für 4 Stück ein Kastenmänchen - 2 ½ Mgr und für 2 Stück Schnerren, Ziemer Geramseln dasselbe. Von der Lösung bauete ich mir selber einen kleinen Vogelherd. Hier machte ich aber den Fehler daß ich ihn auf einem Wacholderberg verlegte, wo die Vögel lieber auf die Büsche als auf den Herd fielen, darum fing ich darauf nicht so viel als in den Donen. Ich kaufte mir auch zuweilen in Iserlohn ein paar Pfund Schnupftabak und Rauchtabak, den ich im Einzelnen wieder verkaufte und ein paar Stüber verdiente. - Als ich 11 - 12 Jahre alt, schon leidlich schießen konnte, ging ich zuweilen auf den Anstand und schmuggelte ein Häschen oder sonst etwas in die Küche. Goswin, der ein guter Schütze, war mein Lehrmeister. Obgleich ich beständig bei jeder Arbeit mithelfen mußte, so versäumte ich doch nicht mich auch ohne Lehrer selbst im Schreiben, Rechnen pp zu unterrichten und mich zu üben. Die Biebel las ich fleißig, sowie andere religiöse Bücher. Schriften von anderen Gegenständen hatte ich nicht. Die Lust etwas zu lernen, war bei mir so groß, daß ich jede müßige Minute dazu verwendete.

Ich war nun im 14. Jahre, und meine Mutter verlangte, daß ich mich entschließen sollte, ein Fach zu wählen, wozu ich am meisten Neigung hätte, und glaubte damit, in Zukunft mein Brod erwerben zu können. Meine Antwort war, daß ich wünschte, Gastwirth zu werden. Sie billigte meinen Entschluß, ging mit mir nach Iserlohn zu dem ersten Gasthofsbesitzer, Herrn Riedel, um mich bei diesem in die Lehre zu bringen. Allein dieser gab uns die untröstliche Antwort, daß er mich jetzt nicht annehmen könne, weil alle Stellen bei ihm besetzt waren. Mißmutig kehrten wir nach Hause zurück in der Hoffnung, daß sich mit der Zeit mal eine andere Gelegenheit für mich finden würde. - Zu meinem Glück erschien diese auch bald. Ein Herr Caspari [vgl. zu Caspari den grundlegenden Aufsatz von Korsch-Gerdes über Stephanopel HIER], der Faktor auf einer großen Bleiche in Stephanopel, ¾ Stunden von Deilinghofen war und Kaufleuten in Iserlohn gehörte, kam häufig des Sonntags in unsere Kirche, weilo Stephanopel hierhin eingepfarrt war, und kehrte jedesmal bei uns ein. Herr Caspari fragte mich einen Tages ob ich wohl Lust hätte, nach Leipzig zu gehen? Da er oft mit mir spaßte, so hielt ich seine Frage auch jetzt für Neckerei, antwortete aber rasch mit Ja! Dies mal war es ihm aber ernst und erzählte uns, daß er bei seinem Freund, Herrn Commißionär Zickwolf in Iserlohn gewesen und von diesem erfahren, daß die Herrn Gebrüder von der Becke von Iserlohn jetzt in Leipzig wohnhaft, ihm aufgetragen, ihnen einen jungen Burschen, womöglich vom Lande, für ihre Handlung zu versorgen. Sein erster Gedanke wäre auf mich gefallen, und er hätte Herrn Zickwolf gesagt, daß er mich zu ihm schicken wolle. Herr Caspari trug mir nun auf, eigenhändig aufzuschreiben, wer meine Eltern, wie alt ich wäre und was ich gelernt hätte, diesen Aufsatz Herrn Zickwolf persönlich zu übergeben und mich ihm vorzustellen. Als ich mich diesem alten Herrn auf seiner Expedition zeigte und meinen Aufsatz übergab, mußte ich einen langen Examen aushalten, den ich immer rasch beantwortete und womit er zufrieden zu sein schien. Er gab mir den Bescheid, daß er den Herrn v. d. Becke schreiben, wie er mich befunden und mir deren Entschluß nach Empfang bekannt machen wolle.

Es dauerte nicht lange, als ich wieder Nachricht erhielt, zu ihm zu gehen. Als ich bei ihm erschienen, sagte er mir, daß er von den Herren v. d. Becke Auftrag bekommen, mich anzunehmen. Herr Zickwolf fügte hinzu, daß ich mich einrichten mußte, schon zur nächsten Ostermesse nach Leipzig zu gehen, daß ich aber vorher noch einigen Unterricht im Rechen und Schreiben in Iserlohn bekommen sollte, in der Herren v. d. Becke ihrem Hause wohnen, beköstigt würde, und sie alles bezahlen wollten, auch daß ich meinen Dienst sofort antreten sollte. Wie froh und glücklich ich nach Hause eilte, um meiner Mutter diese angenehme Nachricht zu bringen, und welche Freude die Meinigen hatten, kann ich nicht mit Worten ausdrücken.


Dieses geschah um Michaeli herum und da ich noch nicht confirmirt war, so ging meine Mutter mit mir sogleich zu unserem Pastor, Herrn Dümpelmann, der mein Pathe war, um ihn zu ersuchen mich allein zu unterrichten und sobald er mich tüvhtig befand, das heilige Werk der Confirmation mit mir vorzunehmen. Dieser fand sich auch bereitwillig dazu, mir womöglich täglich auf seiner Stube einige Stunden zu geben. Da ich mir vorher schon hübsche Kenntnisse in der Religion und besonders in der Bibel, gesammelt, so begriff ich seine Lehren leicht, und er sagte mir, nach einiger Zeit, daß er mich in seiner Stube confirmiren wolle und ich nächstens mit Anderen zum Heiligen Abendmahl gehen könne. Der Herr Pastor, mein Pathe war ein großer strenger Mann, Herrnhuter, immer ernsthaft und streng. Beim Unterricht mußte ich immer stehen. Gleich nach meiner Confirmation ging ich zu Herrn Zickwolf und stellte mich zu seiner Verfügung. Dieser führte mich in das Haus der Herren von der Becke welches groß und prächtig war, und trug dem Mädchen, welches Mariane hieß, allein das Haus bewohnte, bewachte und reinlich halten mußte, auf, wie sie sich gegen mich verhalten sollte. Dann ging er mit mir zu dem ersten Schreib-Rechenmeister. Er sagte diesem, wie er mich unterrichten solle. Dieser Lehrer, dessen Namen ich vergessen, war ein alter Mann, rauchte immer sein Pfeifchen, war aber strenge und ein großer Rechner. Söhne der vornehmsten Leute kamen in seine Schule. Er wies mir einen Platz neben seinem Stuhl an und behandelte mich recht freundlich.


Wieder in meiner Wohnung in von der Becke`s Hause angelangt zeigte mir Mariane mein Zimmer, welches sehr schön, mit allem, was ich bedurfte, versehen war und ich richtete mich bald ein. Außer der Schule machte ich die Aufgaben, die mir der Lehrer gegeben, machte mehr, wie mir aufgetragen, und erwarb mir dadurch Beifall meiner Vorgesetzten. - Castellanin Mariane, etwa gegen 30 Jahre alt, war ein gutes häusliches Mädchen. Wir aßen und tranken immer an einem Tisch und sie sorgte wirklich schwesterlich für mich. Als ich ungefähr 5 Monate in Iserlohn gewesen, sagte mir Herr Zickwolf, daß ich in einigen Tagen nach Leipzig abreisen müßte und mich dazu einrichten sollte, daß er mit Fuhrleuten, die Güter dahin führen, übereingekommen, mich mitzunehmen und wenn ich müde würde, mich auf ihren Karren zu setzen. Er gab mir im Auftrag der Herren von der Becke einen neuen Überrock von grauem Calmuc, um mich vor Kälte zu bewahren, und 5 Thaler Reisegeld, verabschiedete mich und wünschte mir glückliche Reise. - Am Palmsonntag wohnte ich noch der ersten Confirmation des Pastor Strauß in Iserlohn bei. Nie habe ich eine so herzergreifende Confirmations Rede wieder gehört. Alle Zuhörer vergossen Thränen. Der jetzige Oberhofprediger Strauß in Berlin ist sein Sohn. Iserlohn und meinen Bekannten sagte ich Lebewohl und ging nach Deilinghofen, um die Meinigen noch ein paar Tage zu genießen. Einer von den Fuhrleuten, womit ich reisen sollte, namens Pütthof in Riemcke, ein Dorf in unserem Kirchspiel, zu dem ich ging, um zu erfahren, welchen Tag sie von Iserlohn abfuhren und wo ich sie auf dem Weg antreffen könnte, sagte mir, daß sie am Charfreitag abends in Soest im Gasthofe - dessen Name ich vergessen - bestimmt sein würden. Meine wenigen Habseligkeiten hatte ich in ein Packet in ein Pack gepackt und Pütthof übergeben.

Wann kehrt der Jünglich heim ins Vaterland
Wann schaut er jubelnd seine Fluren wieder
Der Jüngling kehret nie dahin zurück
Nach sieben und siebenzig erfahrungsreichen Jahren
Ist er ein alter abgelebter Greis.
Ein ander Vaterland hat ihm die Vorsehung angewiesen
Wo er des Allmächtigen Ruf zur ewigen Heimat harret.

Am Charfreitage 1786 früh 5 Uhr nahm ich Abschied von meiner guten Mutter und trat froh und wohlgemut meine Reise nach dem berühmten Leipzig an. Mein Halbbruder Goswin und Schwager Hinselmann begleiteten mich bis Menden, empfahlen mich Gott und kehrten nach Hause zurück. In Menden traf ich laut Abrede einen jungen Mann, Bäckerssohn aus Iserlohn, der ebenfalls mit den Fuhrleuten nach Leipzig reisete, um sich da in der Bäckerei zu vervollkommnen. Wir gingen nun rasch vorwärts und waren Abends bei guter Zeit in Soest, wo wir unsere Fuhrleute antrafen. Die Reise mit diesem Karren, mit zwei hohen Rädern, ging langsam, sdaß wir erst nach 15 Tagen in Leipzig ankamen. Von unserem Recht, uns auf die Cabriolets zu setzen, machten wir nicht Gebrauch und gingen lieber zu Fuße als uns zergliedern zu lassen.

Leipzig.
In Leipzig angekommen kehrten die Fuhrleute im großen Blumenberge ein und lieferten mich bald nachher als ein lebendes Solln ab. Ob, und wieviel Fracht sie dafür bekamen, daß ich 50 Meilen lang neben ihren Karren ging, weiß ich nicht. Als ich mich den Herren von der Becke vorgestellt und ihrem Wohlwollen empfohlen hatte, übergab ich ihnen den Rest meiner Kasse, mit einem Verzeichnis aller Ausgaben an jedem Orte, auf meiner Reise. Das Geld war in einem niedlichen Beutelchen, was mir meine Mutter zu dieser Reise gemacht hatte, und auch noch einige Groschen von meinen Sparpfennigen, die ich vergessen, herauszunehmen. Das Beutelchen so wenig als mein erspartes Capital habe ich nie wieder zurück erhalten. Vermutlich, weil es im Trubel der Meßgeschäfte bei Seite gelegt und nachher vergessen worden. Ganz arm, keinen Heller im Vermögen und keinen Menschen, den ich kannte, war ich nun in Leipzig. Obgleich erst 15 ¼ Jahre alt und ich nur wenig Menschenkenntnisse und Erfahrung haben konnte, verlor ich doch den Muth nicht und bauete auf die Vorsehung, die mich so wunderbar hierher geführt. Daß ich mich nicht geirrt, haben die Folgen bewiesen. Genau kann ich nicht angeben, wieviel ich auf dieser Reise verzehrt, aber das weiß ich mich zu erinnern, daß es noch nicht ganz 4 Thaler waren.

Das Personal der Handlung-Firma Gebrüder von der Becke und Co. - war bei meiner Ankunft:
Herr Johann Heinrich
Herr Johann Reinhard
Herr Johann Friedrich von der Becke, keiner war verheirathet.
Friedrich Wilhelm Kuiper, Sohn eines Seidentuch-Machers in Iserlohn, welchen die Herren von der Becke auf eben die Art wie mich ein Paar Jahre vorher hatten kommen lassen.
Christian Göblitz aus Sellerhausen Markthelfer.

Der Markthelfer wurde beauftragt, mich in den kleinen Blumenberg zu führen, wo ich Mittag und Abend bei dem Gastwirth Lucas, vor der Hand, meinen Tisch bekommen sollte. Nachher mir das Haus, worin die Herren von der Becke wohnten und wo ich auch wohnen sollte, zu zeigen. Dieses Haus war am Eingang des Schlosses Pleißenburg links vom Schlagbaum und hieß Henricus Haus, hatte auch einen kleinen Garten. Es war wenig Raum in diesem kleinen Hause und ich bekam nur ein kleines Kämmerchen unter dem Dache. Im ersten Winter flog der Schnee durch die Ziegel, daß mein Bette oft ganz damit bedeckt und das Deckbett steif gefroren war. Wenn ich aufgestanden war, trank ich Kaffee in der Köchin ihrer Stube oder in der Küche, dann ging ich in das Geschäft, wo ich zum Frühstück eine Buttersemmel erhielt. Später vermieteten die Herren von der Becke das ganze Haus wodurch wir mehr Platz und Bequemlichkeit bekamen. - Meine Prinzipale hatten im Kochhofe – dem Grafen Hohenthal gehörig – im hinteren Hofe zwei Gewölbe. Vom Markt ausgegangen rechts im großen Gewölbe mit 3 Thüren waren alle Arten englische Iserlohner und dergl. Kurze Waaren. Im Gewölbe unter dem Mittelgebäude waren allerhand britische Baumwollen und Wollenwaaren.
Herr J. H. vd Becke führte die Bücher und Briefwechsel. Herr J. R. vd Becke hatte das kurze Waarenlager und Herr J. F. v. d. das lange Waarenlager unter sich. Kuiper war bei den kurzen Waaren angestellt. Auch ich bekam meinen Platz bei den kurzen Waaren.

Es wurden Birminghammer und Sheffielder Waaren, die in Fäßern angekommen, ausgepackt. Sie waren in braun Papier gepackt und mit Bindfaden zugekommen. Dieses Papier mußte ich von gleicher Größe glatt zusammenlegen, den Bindfaden aneinander knüpfen, in Cnaule wickeln zum ferneren Gebrauch. Waaren, die besehen, Packete, die aufgemacht, mußte ich wieder zubinden und an ihren Platz legen: Plattirte Sachen putzen, Staahlwaaren vom Roste befreien, Bücher linieren, Brief copieren und dergl. unbedeutende Sachen mehr. - Da meine Handschrift noch nicht recht gefiel, so musste ich bei einem Schreibemeister, Herrn Nicolai, noch Unterricht nehmen. - Nach der Messe arbeiteten wir alle in der Schreibstube in unserem Wohnhause. In die Gewölbe gingen wir nur, wenn eingegangene Bestellungen zu besorgen waren. Der Verkauf erstreckte sich auf die Messen, deren wir 3 in Leipzig, 3 in Frankfurt a. O. und 2 in Braunschweig bezogen. Wir fuhren dann immer mit Extrapost, und ich und Christian saßen auf dem Bock.

In der ersten Sommermesse, die ich in Braunschweig war, bekam ich ein Nervenfieber, was mich abhielt, an den Geschäften teil zu nehmen. Die erste Neujahrsmesse, die ich in Leipzig erlebte, war es so grausam kalt, daß die ganze Tinte frohr und wir nicht schreiben konnten. Wir schrieben alles mit Bleifeder auf und brachten es Abends in der Schreibstube in Ordnung. - Unsere Gewölbe waren offen ohne Glasthüren, die damals noch sehr selten waren, welche erst später angebracht wurden, und uns etwas Schutz gewährten. Wegen der Staalwaren durften wir nicht heizen und konnten es auch nicht, weil kein Ofen gesetzt werden konnte. - Ich wurde nach und nach mit den Waaren und Geschäften bekannter, hatte die Verkaufsnummern gelernt, konnte verkaufen und überall helfen, was mir viel Freude machte. Ein armer alter Handelsjude kaufte einmal eine Partie benutzte unbrauchbare Musterkarten von Knöpfen und dergl., die keinen anderen Wert hatten als einzuschmelzen. Da der Markthelfer abwesend war, so trug ich dem Juden die Musterkarten in einem Tragkorbe in seine Wohnung, wofür er mir acht gr. schenkte, was ich nicht erwartete, doch aber sehr erfreut war, daß ich wieder in Besitz eines Capitals von einem Drittel Thaler war.

Unsere Handlung war noch nicht groß. Als Kochshof aus 4 Häusern neu erbaut worden und der Theil auf dem Markt fertig gewesen, ist der Großvater der Herren von der Becke der erste Miethmann in diesem Gewölbe begegnet. Meine Prinzipale hatten sich 3 Jahre vor meiner Ankunft von ihres Vaters Bruder mit dem sie in Compagnie gewesen, getrennt, und sich selber etabliert. Ihrem Onkel das Gewölbe im Kochshofe auf dem Markt rechts überlassen sowie auch alle Waaren überlassen. Oheim Conrad v. d. Becke war alt und konnte das Geschäft nicht mehr übersehen. Er nahm einen nahen Verwandten namens Stephan Lürmann zu sich. Dieser aber war ein Leichtfuß, verthat mehr als er verdiente, übernahm die Handlung – nach dem Tode des Herrn Conrad – und die Sache nahm ein schlechtes Ende.

Unsere Geschäfte vermehrten sich sehr. Herr Friedrich v. d. Becke reiste zuweilen nach England und machte große Einkäufe. In Folge dessen wurde noch ein Gewölbe im Kochshofe gemiethet und zu Baumwollen und Wollenwaaren eingerichtet. Es wurden auch noch Diener angenommen. Auf meine Bitte wurde ich auch bei den Manufakturwaaren angestellt, und war bald bekannt damit. Einige Zeit nach meiner Ankunft bekam ich zuweilen ein paar Groschen Taschengeld, nach Verlauf eines Jahres jährlich 25 Thaler und die letzten drei Jahre 100 Thaler. Alle Bedürfnisse erhielt ich frei, als ich aber 100 Thaler bekam, mußte ich davon Kleidungsstücke und Unterricht selbst bestreiten, womit ich nicht allein reichlich auskam, sondern auch eine Uhr anschaffte. In der engländischen und französischen Sprache nahm ich Unterricht. Kuiper und ich kauften uns zusammen ein Fortepiano für 45 Thaler, um Musik zu lernen. Damit wollte es aber gar nicht vorwärts gehen. Mangel an Talent war nicht allein Schuld, sondern die Zeit fehlte uns, weil wir 8 Messen zu halten hatten und während dieser wieder vergaßen, was wir gelernt hatten.

Mit meinen Einkünften kam ich reichlich aus und ersparte auch anfänglich so viel, daß ich meiner Mutter Kattun zu einem Kleide schicken konnte. Später sandte ich ihr immer etwas, aber diese Freude dauerte nicht lange, denn sie starb schon 2 Jahre nach meiner Abreise. - Die Herrn v. d. Becke speiseten bei einem italienischen Kaufmann Garbarim. Da sich aber unser Handlungspersonale vermehrte und sie uns immer unter Aufsicht haben wollten, so ließen sie in ihrer Wohnung selber kochen und wir aßen alle zusammen. Mittags hatten wir Suppe, 2 Gerichte, Würzburger oder Wein von Oberweg in Naumburg. Dies behagte uns besser als das schlechte Essen und ein Glas Bier bei Lucas im kleinen Blumenberge im Vorsaal auf einem Fenstertischchen. Durch unermüdeten Fleiß hatte ich nur von allen Waaren, die wir führten, Kenntnis erworben und wußten unsere Kunden gehörig zu bedienen. Kuiper bekam den ersten Posten bei den kurzen und ich bei den langen Waaren. Dadurch war ich immer dem jüngsten Herrn Friedrich von der Becke, nahe, erwarb mir seine Liebe und sein Zutrauen. Er war eigentlich die Seele von der Handlung und was er anordnete, wurde gemacht. Da er die Jagd sehr liebte und ich mich schon als guter Schütze gezeigt, so war ich immer sein Begleiter. Er hatte die Jagd in Lösing von Rees für 15 Thaler gepachtet, dann Seehausen und Göpschwitz von Feder für 30 Thaler, zuletzt Wolkwitz von Graf Schönfeld für 40 Thaler, zuletzt 10 Thaler Schießgeld dem Jäger. Dies Revier hatte Wildbrett aller Art und machte Vergnügen. Auch der älteste v. d. Becke jagte gern. Herr Friedrich v. d. Becke kaufte zwei Reitpferde, worauf wir beide zuweilen die Reise nach Frankfurt a. O. machten. Von der Leipziger Jubilata- bis zur Frankfurt a. d. O. Margaretha-Messe hatten wir ungefähr acht Wochen Zeit. Während dieser Zeit ritt Herr FriedrIch und ich fast alle Sonntage Nachmittag nach Raschwitz und angelten im Fluß auf der Wiese. Die Fische verschenkten wir.

Von der Frankfurter Margaretha-Messe 1791 ritten wir einstmals nach Bunzlau in Schlesien, um von einem schlechten Bezahler Geld einzukassieren. Auf dieser Reise sagte mir Herr Friedrich, daß er künftiges Jahr eine Reise nach England machen und mich mitnehm würde, wenn ich bis dahin die Sprache leidlich verstehen würde. Mit den Anfangsgründen schon bekannt, lernte ich nun nach unserer Zurückkunft, was in meinen Kräften war und mir die Zeit erlaubte. Ich hatte beständig ein oder anderes englisches Buch bei mir, wenn ich ausging, nahm auch solches mit ins Bette um abends bei Licht noch und morgens beim Erwachen darinnen zu lernen. Mein Eifer wurde belohnt. Ich konnte mich schon mit reisenden Engländern, die häufig zu uns kamen, ihre Fabrikate anzubieten, unterhalten. Herr Friedrich freuete sich darüber und sagte zu mir – nach der nächsten Ostermesse sollst Du mit mir nach England reisen. Meine Freude über diese Aussicht hatte keine Grenzen. Am Ende der Ostermesse 1792 packten wir einige Anziehesachen in einen kleinen Koffer, betteten diesen auf eine Chaise und fuhren mit Extrapost über Braunschweig, Hannover, Haagenburg, Leese, Diepenau, Bohmte, Osnabrück, Yppenburn, Rheine, Bentheim, Delten, Deventer, Fortsloys, Niekerken, Naarden, Amsterdam, Delft, Leiden nach Helvotsloys, wo wir uns einschiffen wollten. Ein Herr Lange, Rauchhändler von London, der die Ostermesse besuchte fuhr mit uns und bezahlte einen Teil der Reisekosten.

In Holland sahen wir auf die Ruinen einer Revolution, die das Jahr vorher mit 25000 Preußen gedämpft wurden. Wir mußten beim Eintritt eine Kokarde tragen um zu beweisen, daß Orania boven auch unser Wille wäre. In Amsterdam ließen wir unseren Wagen im Witte Hart stehen und reiseten mit der Treckschute nach Helvotsloys. Die Treckschute wird auf Kanälen mit einem Pferde, was daneben geht, gezogen, ist sehr bequem und kommt auf die Minute auf dem Ort seiner Bestimmung an. In Helvotsloys im Gasthofe zum Prince of Oranje waren schon viele Leute, die mit nach England reisen wollten. Das Schiff, was uns dahin bringen sollte, hies Prince of Oranje und wurde von Capitain Flyn geführt. Vor der Abfahrt wurde an einer Tafel tüchtig gegessen und getrunken. Ich konnte weder essen noch trinken, ging an Bord des Schiffes, staunte die See an und die vielen Schiffe, die in See lagen und konnte alles, was ich sah, nicht genug bewundern. Wir versorgten uns mit einigen Lebensmitteln, gingen mit unseren Koffern an Bord, belegten unsere Bettstätte und erwarteten das Zeichen zur Abfahrt. Bald darauf wurde das Packet-Boot, es war ein Postschiff, aus der Mündung voxiert (?) und wir waren auf offener See. Seelöwen und Seevögel begleiteten uns. Nach einer guten Reise, Wind und Wetter war uns günstig, kamen wir den anderen morgen glücklich in Harwich an. Von der Seekrankheit hatte ich wenig zu leiden. Wir bestellten eine Postchaise und fuhren sofort über Colchester nach London, wo wir im City Coffeehouse Cheapside, wo Herr v. d. Becke immer wohnte, unser Logis nahmen. Dieses Kaffeehaus liegt in der Mitte der großen Weltstadt im reichsten Theile derselben und ist für einen Geschaftsmann sehr gelegen. Ich will mein Erstaunen über alles, was ich in dieser, für mich neuen Welt, sah mit Stillschweigen übergehen und vom Zweck unserer Reise-Geschäfte erzählen. Täglich nach dem Frühstück besuchten wir die Waarenlager unserer bekannten und neuen Freunde, worunter auch der Cattundrucker, Herr Robert Peel, Vater des Ministers R. Peel, war, kauften, was uns anständig war, bestellten was wir nicht fertig fanden, besuchten das ostindische Haus, besahen uns die Waaren und merkten uns die an, die wir in der Auktion erstehen lassen wollten. Bei der Auktion der ostindischen Compagnie kann kein Fremder bieten und kaufen, sondern nur ein Bürger von London, der Credit hat.
Da wir vor der Hand das Nötigste besorgt hatten, waren wir in Begriff nach Birmingham abzureisen als die Nachricht eintraf, dass dort eine Revolution ausgebrochen und mehrere Häuser abgebrannt und niedergerissen worden seien. Nach ein paar Tagen bekamen wir einen Brief, dass alles wieder ruhig in Birmingham wäre und wir ohne Bedenken dahin kommen könnten. Wir nahmen gleich Plätze in einer Stage Coach, fuhren abends 10 Uhr von London und waren den anderen Tag 1 Uhr Mittag in Birmingham im Gasthof Hen. W. Thickens; hatten in der kurzen Zeit 113 Meilen gemacht und Lust zum Essen bekommen.

Nach einem guten Dinner machten wir einen Besuch bei Herrn v. d. Beckes Freunden, Herrn William Wallis Mason. Dieser ließ sofort unsere Koffer aus dem Gasthause holen und drang darauf bei ihm zu wohnen, wovon wir auch 14 Tage lang Gebrauch machten. Hier machten wir bedeutende Einkäufe und Bestellungen auf Modewaaren, die noch nicht fertig waren.

Als wir in Birmingham ankamen, sahen wir die Greuel der Verwüstung. An allen großen Gebäuden, Kirchen, Straßen und öffentlichen Orten war mit weißer Kreide mit großen Buchstaben – Church and King forever – geschrieben – Kirche und König auf ewig – . Es war, wie wir erfuhren, ein Religionsaufruhr. Ein Doctor Priesley wollte Änderungen in der englischen Kirche machen, weshalb die Unruhen entstanden waren. Das erste Haus, was wir bei unserer Einfahrt in Birmingham, links auf einer Anhöhe, niedergebrannt sahen, gehörte dem Doctor Priestley. Seine Bibliothek und alle Instrumtente – er war ein berühmter Chemiker – waren verbrannt oder vernichtet und er selbst entflohen ich glaube nach Amerika.

Als wir mit unseren Geschäften in Birmingham fertig waren, reisten wir nach Cheffield und wurden von unserem Freunde, Herrn John Greaves eingeladen, bei ihm zu wohnen, was wir auch annahmen und uns bei ihm und seinen drei unverheirateten Schwestern recht wohl befanden. Diese 4 Geschwister waren schon alle über die Mitteljahre, nicht reich, aber wohlhabend und keines verheiratet.

Von Sheffild aus besuchten wir mehrere Orte in Yorkshire als Leeds, Hallifax, Bradford etca., wovon wir wollene Waaren bezogen. Dies waren keine Modesachen und unsere Geschäfte waren bald mit der Feder abgemacht. Diese Reise machten wir zu Pferde. Herr Greaves hatte zwei Pferde worauf er und Herr v. d. Becke ritten und ich ritt ein schönes Pferd, welches Herr Greaves vom Herzog von Norfolk, der in Sheffield wohnte, für mich geborgt hatte. Yorkshire ist sehr gebirgig und wir konnten die schönen Aussichten zu Pferde recht genießen. Bald nach unserer Zurückkunft nach Sheffield fuhren wir mit der Stage Coach nach Manchester wo wir im Gasthof – Spreed Eagle hanging dicht am Flusse der Cannonstreet Logis nahmen. Dieser Gasthof liegt ungefähr in der Mitte dieses großen meist Baumwollen Fabrikorts und für Einkäufer gut gelegen. In Manchester machten wir große Einkäufe und Bestellungen und als wir mit unseren Geschäften fertig waren, reiseten wir mit der Stage Coach wieder nach London, was von Manchester 180 Meilen entfernt ist. In London wo wir wieder in City Coffeehause wohnten, machten wir noch viele Einkäufe, besorgten deren Verschiffung und rechneten mit unseren Bankiers ab. Wir bezahlten nämlich die Waaren die wir gekauft hatten, mit Anweisungen auf unsere Bankiers in London, wofür diese die Deckung schon von Leipzig erhalten hatten, oder noch erhielten, ehe unsere Anweisungen fällig waren. Da wir auf diese Weise alle unsere Einkäufe baar bezahlten, so kauften wir nicht allein wohlfeil sondern bekamen auch noch 5 % Rabatt denn gewöhnlich verkauften die Fabrikanten auf 6 Monate Zeit oder 5 % für baare Zahlung.

Nachdem wir unsere Geschäfte beendigt, mehrere Merkwürdigkeiten und dergl. gesehen hatten fuhren wir mit der Stage Coach wieder von London nach Harwich, schifften uns ein und kamen nach einer beinahe dreitägigen langsamen unangenehmen Seereise glücklich in Helvotsloys an. Diesmal litt ich sehr an der Seekrankheit, konnte weder Essen noch Trinken. Der Capitain nöthigte mich zu einer Tasse Tee, aber nichts half mir, als wir aber das feste Land sahen, wurde mir gleich besser. Ich ersuchte Herrn von der Becke, über Rotterdam zu reisen, wo mein Bruder in Arbeit war und den ich gern sehen wollte. Ich genoß denselben ½ Tag und fuhren dann mit der Treckschuit nach Amsterdam, wo wir wieder zu unserer Chaise kamen. Von Amsterdam fuhren wir mit Extrapost über Utrecht, Nimwegen, Cleve, Xanten, Hogstraat, Neus, Dornmagen, Cölln, Bonn, Drimagen, Andernach, Coblenz, Schwalbach, Wießbaden, Adersheim nach Frankfurt a. Main. Amsterdam ist von Frankfurt 100 Stunden entfernt. Dieses Reise in einer schöner Jahreszeit und durch so reizende Gegenden war für mich ein großer Genuß. In Frankfurt begleitete ich Herrn v. d. Becke zu einigen Besuchen und nach Aufenthalt von 1 ½ Tagen setzten wir unsere Rückreise nach Leipzig fort. In Gotha blieben wir ½ Tag bei Herrn v. d. Becke seinem Bruder welcher damals Regierungsrath Geschichtslehrer der beiden Prinzen und zuletzt Minister daselbst war. Er selbst war der jüngste von den 10 Brüdern, hatte seine Cousine, Tochter Conrads v. d. Becke zur Frau. Wir wurden des Mittags mit herrlichen Forellen tractiert und mußten auch noch einige für die beiden Brüder in Leipzig mitnehmen. Nach unserer Ankunft in Leipzig, Anfang September, mietheten wir noch mehrere Gewölbe um die vielen eingekauften Waaren zu lassen und nahmen auch noch mehr Diener und Markthelfer an. Alle Tage kamen unsere eingekauften Waaren an und beschäftigten uns sehr mit Auspacken un zu ordnen.

Die Leipziger Michaely-Messe fiel gut aus und unser Lager besonders in langen Waaren wurden ziemlich aufgeräumt, obgleich es im Anfange der Messe sehr groß war. Wir machten neue Bestelllungen für die nächste Ostermesse, die mir größtenteils, da ich nunmehro mit allem bekannt war, allein überlassen wurde, verlegten die Schreibstube in ein gemiethetes Gewölbe in Kochhofe und öffneten täglich unser Gewölbe.

Während der Frankfurt a./O und Braunschweiger Messen blieb Herr Heinrich v. d. Becke mit 2 Dienern und einem Markthelfer in Leipzig. Die Braunschweiger Messen waren ohnehin unbedeutend. Die Ostermesse 1793 war noch nicht ganz zu Ende als Herr Friedrich v. d. Becke und ich wieder eine Reise nach Brittannien antraten um wieder neue Einkäufe zu machen. Wir reiseten auf demselben Wege wie das Erstemal und kamen ebenso glücklich in London in City Coffeehouse Cheapside an. In London kauften wir nur, was wir von Neuigkeiten vorfanden, gaben Bestellungen auf und hielten uns mehrere Tage auf dem Lastindiahouse auf, Waaren zu besehen zu wählen und aufzuwerfen, auf welche wir in der Auktion bieten lassen wollten.
Wir gaben große Aufträge in Capes Hamans, Bastas, Baste, Musline, und dann Bandannoes und allerhand Seidene und andere Waaren. Fast alle Waaren bekamen wir unter die vorgeschriebenen Preise weil Frankreich wegen innerer Unruhen und mit Krieg bedroht, keine Aufträge auf ostindische Waaren nach London gegeben hatte. Da wir vor der Hand das Nötigste in London besorgt hatten, reiseten wir ab. Herr Friedrich nach Birmingham, Sheffield und den wollenen Manufakturstätten in Yorkshire. Ich fuhr mit der Stage Coach nach Manchester. Hier war ich ungefähr 3 Wochen und machte große Einkäufe und Bestellungen. Bei einem Fabrikanten, Charles Wood, fand ich einen neuen Artikel – geflammte Nankeen – kaufte seinen ganzen Vorrath, ließ solchen gleich in 13 Kisten packen und sofort nach Hull zum Verschiffen nach Hamburg abgehen. Auch schloß ich mit einem Vergleich ab, alles, was er in diesem Jahr von diesem Artikel verfertigte, an niemand anderes zu verkaufen. Er war Quaker und hielt Wort. Dergleichen Handel hatte ich mit mehreren Fabrikanten in neuen Artikeln gemacht. - Als Herr v. d. Becke in Manchester ankam und ich ihm meine Einkäufe vorlegte, schien er nicht recht zufrieden zu sein, weil sie groß waren. Da ich ihm aber versicherte, dass ich mir getraute, noch weit mehr abzusetzen, beruhigte er sich. Die Folgen zeigten auch, dass ich richtig gehandelt hatte. - Während meines Aufenthaltes in Manchester bot sich mir ein eigener Fall dar.

Ein bedeutendes Fabrikhaus Harrison & Boughton, mit denen wir große Geschäfte, besonders in black Velveretes und Velvetons, machten, hatten sich seit vorigem Jahre getrennt. Harrison hatte nur einen Sohn und eine Tochter und ein Vermögen über 100/mille Lstg. Er klagte mir, dass sein Sohn ein Gelehrter werden wolle und er keine Stütze in seinem Geschäft hätte, die er mit seinem schon hohen Alter nöthig brauche. Nach einiger Unterhaltung über diesen Gegenstand fragte er mich, ob ich Lust hätte, sein Associe zu werden? Sehr überrascht über dieses Anerbieten, dankte ich ihm und antwortete, dass ich gar kein Vermögen hätte, womit ich als Theilhaber in das Geschäft treten könne, und dass ich den Herren Gebrüder v. d. Becke zu viel Verbindlichkeit schuldig um einen solchen Schritt, ohne deren Vorwissen und Genehmigung zu thun. Herr Harrison, der mir sein ganzes Zutrauen versicherte, erklärte, dass er mich auch ohne Vermögen als Theilhaber in das Geschäft nehmen wolle und er mir im Voraus seine Einwilligung gäbe, seine Tochter zu heirathen, wenn wir gegenseitige Neigung fühlen würden. Verlangte auch Herrn v. d. Becke diesen Antrag vorzulegen. So vorteilhaft die Sache in meiner Lage auch für mich zu sein schien, so war ich doch fest entschlossen, das Anerbieten nicht anzunehmen. Als Herr v. d. Becke von Yorkshire in Manchester ankam, erzählte ich ihm die ganze Geschichte mit meinem gefaßten Entschluß. Herrn v. d. Becke gefiel meine Offenheit sowie mein Entschluß und gab mir den Rath, Herrn Harrison zu sagen, dass ich sein Anerbieten nicht annehmen könne, weil ich versichert wäre, dass die Herren Gebrüder v. d. Becke wie bisher auch in Zukunft für mich sorgen würden. Dies geschah und die Sache war abgemacht.

Herr v. d. Becke vertraute mir nun eine Sache an, die mich wahrhaft in Erstaunen setzte, sodaß ich vor Rührung und Weinen nicht antworten konnte. Er sagte mir nämlich, dass er und seine Brüder gesonnen wären mit dem Schluß dieses Jahrhunderts sich von den Waarengeschäften zurückzuziehen und mir und Kuiper die Handlung zu übergeben. Er fügte noch hinzu, da sie alle drei nicht verheirathet und wohl auch keiner heiraten würde, so sollten wir dereinst einen Theil ihres Vermögens bekommen, da sie außer ihrem Bruder in Gotha keinen nahen Verwandten hätten die in dürftigen Umständen wären und ihre Schwester, Madame Leplay, (?) reich genug wäre. Wie froh und glücklich mich diese Mitteilung machte, kann ich nicht beschreiben. Da Herr Reinhard v. d. Becke später ein Fräulein Waldbutter heirathete, und damit 4 Söhne und eine Tochter bekam, so war es mit der verheißenen Erbschaft nichts.
Da unsere Geschäfte in Manchester vor jetzt beendet waren reiseten wir beide nach London. Herr von der Becke blieb in London weil noch viel zu thun war und er auch noch einmal Manchester und Birmingham besuchen wollte. Ich blieb nur noch ein paar Tage in London und trat dann alleine die Rückreise nach Leipzig an. In Harwich wurden während wir Passagiere speiseten unsere Koffer aufs Schiffs gebracht und wir nachher auch in einem Boot abgeholt. Das Schiff lag weiter in See und es war Windstille. Ein junger Engländer, der nach Holland reisen wollte, und seinen Koffer schon auf dem Schiff hatte, erschrak so sehr vor diesem Anblick, dass er auf der Stelle umkehrte und seinen Koffer allein nach Holland spazieren ließ. - Nachdem wir 2 Stunden, wie angenagelt in See lagen, erhob sich ein heftiger Wind wie das immer nach einer Windstille geschieht – und war so günstig für uns, dass wir im Sturme in 14 Stunden in Helvotslouis anlangten. Von hier aus reisete ich mit der Treckschuit nach Amsterdam wo ich 1 ½ Tag auf den Abgang der Post warten mußte. Von Amsterdam reisete ich mit der ordinären Post über Amersvoort, Arnheim, Emerik, Wesel, Buerbonn, Lühnen, Rees, Hamm, Lipstadt, Bielefeld, Herfort, Minden, Halberstadt. Hier angekommen, war ich wie zerschlagen. Dieser Postwagen war sehr schwer, wurde mit 4 Pferden fortgeschafft, war unbedeckt, die Sitze waren hölzerne in Ketten hängende Bretter, schlechte Wege, denn Chausseen kannte man noch nicht. Auf diesem Marterfuhrwerk hatte ich Tag und Nacht, ohne Aufenthalt 70 Meilen zurückgelegt. Dies auszuhalten, dazu gehört eine gute Portion Kraft und Geduld. Von Hamm aus hätte ich gerne meine Heimat, die nur 8 Stunden davon war, besucht, aber ich musste eilen, um nach Frankfurt a.O. zur Messe zu kommen. In Halberstadt nahm ich die Extrapost und fuhr damit nach Leipzig, wo ich nur Herrn Heinrich v. d. Becke antraf weil alle schon nach Frankfurt a./O. zur Margaretha Messe abgereist waren. In Leipzig ruhete ich einen ½ Tag aus. Den anderen Morgen bei Anbruch des Tages setzte ich mich auf meinen braven Rappen und ritt in 2 Tagen nach Frankfurt a./O. - 25 Meilen. Diesen Ritt habe ich später mit demselben Pferde von Frankfurt a./O. nach Leipzig gemacht. Für Roß und Mann fast zu viel. Hier war die Messe schon im Beginn. Einige seine mode Artikel die wir in London eingekauft, kamen mit der Post an, auch erhielten wir in der Mitte der Messe die 13 Kisten geflammte Nankeens von Hamburg mit der Post. Alles wurde reißend zu guten Preisen verkauft. Es war einige Messen ein solches Gedränge bei uns, dass wir nicht im Stande waren, alle Käufer zu bedienen. Wir lehnten die Thüren des Gewölbes an, stellten 2 Soldaten unsere Packer dafür und ließen nur soviel Menschen herein, als wir auf einmal bedienen konnten. Waren diese befriedigt, so wurden andere hereingelassen, die schon in großer Anzahl darauf warteten. Es waren lauter polnische Juden, die offen sagten, nur von unseren Waaren hätten sie Nutzen, bei anderen keinen Segen. Ein Vorurteil, was bei Juden häufig war. Nach dieser, und der Braunschweiger Sommermesse kamen täglich Waaren von England in Leipzig an. Um diese unter zu bringen, mietheten wir alle Gewölbe, die im Kochhofe frei waren, auch Niederlagen in der Reichs- und Catharinenstraße bis auf das Nürnberger Spiegelgewölbe.

Unser Waarenlager und unsere Handlung waren so groß, dass kein ähnliches Geschäft damals in Leipzig war.
Alles was in England fabriziert wurde, führten wir. sowie auch ostindische Fabrikate, einige Pariser, Iserlohner, Sohlinger Kurzwaaren, seidene Tücher und Stoffe und eine Menge anderer Artikel. Herr Friedrich von der Becke speculierte auch häufig in allen Arten Colonialwaaren mit Glück.
Alles wurde im Ganzen, im Einzelnen nichts verkauft. Meiner Schwester ältesten Sohn Hinselmann ließ ich von Westfalen kommen und er wurde ein guter Kaufmann. Später ließ ich noch zwei jüngere Söhne von ihr kommen, die auch gut wurden. Der ältere von diesen Beiden starb später in Zittau und der Jüngere verdarb. Das Geschäft ging immer großartiger vorwärts und es wurde viel Geld verdient. Leider traf aber 1795 den Handel ein großer Stoß. In Polen, Moldau, Walachei etca. brachen sehr viel Banquerotte aus, wobei die Herrn v. d. Becke enorme Verluste erlitten. Als diese durch Accorde abgemacht und sie soviel als möglich gerettet hatten, beschlossen sie mit Schluss 1796 das Waarengeschäft ganz niederzulegen und Kuiper und mir zu übergeben. Wir bekamen von denselben Auftrag, das ganze Waarenlager inventurmäßig aufzunehmen und ihnen, nach geschehenem, den Erfolg vorzulegen. Kuiper machte die Inventur über die kurzen Waaren und ich über die langen Manufakturwaaren. Wir berechneten alles so gewissenhaft, als wenn wir vorher den feierlichsten Eid abgelegt hätten. Als wir mit allem fertig waren, untersuchten wir nochmals unsere beiderseitigen Arbeiten, fanden aber nichts zu ändern und übergaben den Herrn v. d. Becke das Resultat. Nachdem diese alles durchgegangen, meinten sie, dass wir mehrere Artikel zu hoch angesetzt und wir nichts dabei verdienen könnten. Sie wollten uns deshalb noch einen Rabatt von 10 % auf das ganze Lager geben. Wenn uns das Geschenk von 10 % auch sehr erfreute, so war es doch noch mehr das freie Geständnis der Herren v. der Becke, dass wir die Waaren mehr zu ihrem, als zu unserem Vorteil berechnet hätten. Obgleich nach den schweren Verlusten eine große Einschränkung der Geschäfte gemacht worden war, so betrug das Waarenlager, was wir übernahmen doch noch die hübsche Summe von 180,000 Thalern. Die Herren v. d. Becke machten uns zur Bedingung, von diesem Kapital wenigstens 5000 Thl. jährlich, oder wenn es uns möglich, auch mehr abzuzahlen, das Ganze billig zu verzinsen, von der jährlichen Abzahlung aber keine Zinsen zu geben. - Über das Lager in Frankfurt a. O. wurde eine besondere Inventur gemacht. Da wir aber nicht Willens waren, die Frankfurter und die Braunschweiger 5 Messen beizubehalten, so übergaben wir erstere an unseren Diener George Illers, der sich mit Florey assoziirte und letztere an einen anderen, Diener F. A. Reden, der sich mit einem Herrn Paulsen verband. Wir brauchten weder Aktiva noch Passiva zu übernehmen. Die Herrn v. d. Becke waren an Niemand etwas schuldig, hatten aber große Summen zu fordern. Da diese Forderungen aber an Kunden waren, die von Messe zu Messe borgten und bezahlten, so kassirten wir diese ein für sie, gaben den Kunden wieder denselben Credit und alles blieb wie früher, nur die Firma war anders.
Mit jugendlicher Kraft und Thätigkeit, überall uneingeschränkten Credit, setzten wir das große Geschäft unter der Firma Kuiper und Schnetger fort. Kuiper war drei Jahre älter als ich, darum gebührte ihm der erste Name in der Firma. Er heirathete Fräulein Amalia Waldhütter. Die Krisis, welche die Herren von d. Becke bewog, das Waarengeschäft zu verlassen und sich nur mit den Wechselgeschäften pp. zu beschäftigen, war vorüber, und eine neue günstige Zeit fing für uns an. Wir benutzten diese mit vielem Glück, machten sehr große Geschäfte und verdienten viel Geld.

Diese gute Zeit endete aber, als Napoleon 1806 ganz Deutschland mit seinen Scharen überzog, alle engländischen Waaren wegzunehmen und zu verbrennen drohte, auch würklich einige bei Leipzig zwischen der Kunkenburg und Kuthurem verbrennen liess, die Kontinentalsperre anordnete und keine britischen Fabrikate mehr nach Deutschland einzuführen erlaubte. Das gab dem Handel einen Todesstoß. General Macon wurde Gouverneur von Leipzig. Von Rath und Kaufleuten wurde ein Comithe gebildet – wovon ich Mitglied war – um mit ihm zu verkehren. - Wir brachten ihm sofort ein Geschenk von 60‘m franco, die er gerne nahm, aber ein paar Tage nachher starb und dieses Opfer war vergebens gebracht. General Riné war sein Nachfolger und ließ sich behandeln, trotz seinem scharfen Befehl vom 7. Nov. 1806 den ich zur traurigen Erinnerung hier beilege. Aus Leipzig durfte ohne Erlaubnisschein nichts mehr versandt werden. Die französische Behörde gab diese Scheine zwar mitunter für große Geschenke, gegen das Versprechen, dass es keine engländische, sondern französische, deutsche pp. Waaren waren, aber der Handel war doch vernichtet. Da wir keine neuen Waaren beziehen konnten, so räumten wir nach und nach unser Lager und hörten auf, mit Fabrikaten zu handeln.

Ich schlug vor, einen Wollhandel zu etablieren, aber Kuiper hatte dazu keine Lust und stimmte für Handel mit Twist. Da dieser nicht abzubringen war, so gab ich nach, besonders da ich bereits Machern gekauft und gesonnen war, mich aus dem Geschäft zu ziehen und Kuipern die Führung allein zu überlassen. Hätte Kuiper meinem Vorschlag gefolgt, so würden wir beim Wollhandel enormes Geld verdient haben. Der Twisthandel ging wohl Anfangs gut, wodurch Kuiper veranlaßt wurde, ein Geschäft damit in Seifhennersdorf zu errichten und seinen Bruder zum Führer desselben dahinzusetzen. Dieser, der Seidenbandmacher in Iserlohn gewesen, keine Menschen- und Handelskenntnisse hatte, machte ungeheuere Geschäfte, verborgte an jeden Pascher große Summen und die Folge davon war, dass diese Banquerott machten und fast nichts bezahlten. Dadurch bekam unser Vermögen wieder eine Niederlage. 1817 schied ich aus der Handlung und Kuiper übernahm solche alleine. Da aber noch große Verluste von seines Bruders leichtem Verborgen vorauszusehen waren, so verglich ich mit ihm, solche zu übernehmen und für alles alleine zu stehen und machte mich verbindlich, dass nach meinem Tode meine Erben ihm die Summe von 10/m Thalern in 5 jährigen Terminen, jedoch ohne Zinsen, dafür zahlen sollten.- Nach meiner Ausscheidung ging die Handlung, die in ganz Europa berühmt war, immer zurück und hatte nichts ähnliches mehr von ihrer früheren Größe. Kuiper fing nun einen Wollhandel an, aber zu spät und verlor dabei. Auch hatte er schon früher ein Geschäft mit Twist in Zittau mit meinem ältesten Neffen Hinselmann errichtet, der sehr vorsichtig war und ziemlich gut ging. Das Geschäft wird noch jetzt von dessen Sohn fortgesetzt. Hinselmann heirathete auch ein Fräulein I. Waldhütter. Beide starben 1847. -
Der zweite Teil meines Lebenslaufes betrifft meine ehelichen und familien Verhältnisse. - Im Spätsommer 1795 gegen Abend, ritt ich mit meinem schönen Rappen, den ich von Herrn v. d. Becke hatte, in Leipzig ums Thor.

Zwischen dem Theater und Halleschen Pförtchen gingen zwei Damen in der Allee, die Mutter und Tochter zu sein schienen. Letztere, die ich, sie mich, ansah, machte auf mich einen, nur bis dahin unbekannten, Eindruck. Später sah ich sie öfter und gewöhnlich durchs Hallesche Pförtchen in die Stadt gehen. Einst, als ich die Damen wieder spazieren gehen sah, wo ein Bekannter bei mir war, den ich fragte, ob er sie kennte, erfuhr ich dass es des Ratsherrn Baumeister Hansen Frau und Tochter war. Wär früher ein flüchtiger Gedanke bei mir erwacht, dereinst dieses Mädchen als Frau zu besitzen, so wurde ich jetzt durch ihren Namen abgeschreckt, denn wie konnte ich armer Kaufmannsdiener hoffen wo keine Hoffnung war.

DOCH DER MENSCH DENKT UND GOTT LENKT.

Unser Spediteur, Herr Kranke, an den fast alle unsere Güter gingen, sie freimachen, Frachten bezahlen, auch einige bis zum Gebrauch aufbewahren musste, weil wir selber keine Zeit dazu hatten und ohnehin bei diesem Geschäft viel unerlaubtes vorfiel, wovon die Herren v. d. Becke nichts wissen wollten. Dieser Herr Kranke starb plötzlich und hatte niemand bei sich, der dieses Geschäft fortsetzen konnte.

Eines morgens erhielten wir einen Besuch von Herrn Stadthauptmann Hansen mit der Frage, ob die Herrn v. d. Becke wohl geneigt wären einen Diener ihrer Handlung namens Radius anzuvertrauen ihre Geschäfte zu führen, wie es Herr Kranke bisher getan hätte? Dieser war der jüngere Hansen, der ältere war Baumeister, damals der höchste Tittel für einen nicht studierten Ratsherrn.- Die Herren von der Becke erwiederten, dass sie auf die Empfehlung d. H. Gebrüder Hansen Herrn Radius die Spedition recht gerne so lange geben wollten, als dieser sie zu ihrer Zufriedenheit führen würde. Herr Radius übernahm nun das Krankesche Geschäft und heirathete ein Fräulein Dähne aus Leipzig. Da mich Geschäfte oft zu Herrn Radius führten machte ich auch Bekanntschaft mit seiner Frau, eine lebhafte, nicht gerade schöne, aber sehr gute Dame. Als wir nähere Bekannte wurden, sagte mir Madame Radius, dass sie eine Freundin hätte, die sie mir zur Frau wünschte. Auf meine Frage, wer denn diese Dame wäre? erhielt ich zu meinem Erstaunen die Antwort, es wäre Jettchen Hansen. O! rief ich laut aus, das ist ja schon seit ein paar Jahren meine heimliche Liebe. Ich entdeckte nun Madam Radius meine Neigung und bat sie, Fräulein Hansen zum Thee einzuladen wobei ich dann, wie zufällig auch erscheinen würde. Es geschah, unsere Bekanntschaft war gemacht und fortgesetzt. Jettchen Hansen vermutete meine Absicht und schien mir nicht abgeneigt zu sein.

Ich schlug eine Landpartie nach Machern vor, welche angenommen wurde, bestellte einen Wagen vor Radius Wohnung, schickte Wein, Torte und andere Sachen zu ihm, um sie in den Wagen zu packen und am bestimmten Tag früh mit den beiden Damen bis vors äußere Thor zu fahren, wo ich sie erwarten würde. Auf der Reise waren wir sehr vergnügt, im Machernschen Park auch und die mitgenommenen Delikatessen schmeckten uns im Freien vortrefflich.- Ich suchte Fräulein Hansen alleine zu sprechen, erklärte derselben meine mehrjährige Liebe und das mein zukünftiges Glück ihr Besitz sein würde. Ihre Antwort, dass eine so wichtige Lebensfrage Überlegung bedürfe, sie, ihren Aeltern meinen Antrag mittheilen, sich mit denselben beraten wolle, fand ich in Ordnung. Sie fügte noch hinzu, dass sie mit ihren Aeltern auf 8 Tage zum Besuch zu ihrer Schwester Madame Oehler in Crimmitschau reisen würde und dass nach ihrer Rückkunft sie sich bestimmen wollte. Nun trug ich den Herrn v. d. Becke, bei denen ich noch immer wohnte und speisete, die Sache vor und bat um ihren Beifall und Genehmigung, welche sie mir auch von ganzem Herzen gewehrten und aufrichtig wünschten, dass meine Neigung in Erfüllung gehen möchte.

Bald nach Zurückkunft der Familie Hansen von Crimmitschau wies mich Madame Radius bitten, sie zu besuchen. Ich ließ alle Arbeit liegen und eilte dahin, weil ich vermuthete, dass ich die Entscheidung meines Schicksals erfahren würde. Als ich in die Stube trat, war niemand darin wie Fräulein Hansen. Nach Begrüßung reichte sie mir die Hand und sagte mir weinend und rührend, dass sie sich mit Bewilligung ihrer Eltern entschlossen hätte, mir Herz und Hand zu geben und Glück und Unglück auf dieser Welt mit mir zu theilen. Einen froheren und glücklicheren Menschen, als ich in diesem Augenblick war, konnte es wohl unter der Sonne nicht geben. Vor 11 ½ Jahren zu Fuße als ganz armer Jüngling von 15 Jahren unwissend, ohne Kenntnis, nach Leipzig gekommen, jetzt Bräutigam eines schönen Mädchens aus einer der angesehensten Familie Leipzigs und Besitzer der ersten Handlung.

Wenn ich auch durch Fleiß, Treue, Selbstbildung und Belehrung, streng sittliches, religiöses und rechtliches Betragen, mich zu einem achtbaren Manne erhoben hatte, so war doch offenbar, dass der allmächtige Gott immer mein Schicksal geleitet. - Meine Braut sagte mir, dass ihr Vater, vor Bekanntmachung unserer Versprechung Nachricht von den Herren v. d. Becke über meine Verhältnisse zu erfahren wünschte und dass wir uns den anderen Tag wie zufällig, in Zobigker, treffen könnten. Die Herren Heinrich und Friedrich v. d. Becke waren dazu gern bereit. Wir kamen fast zu gleicher Zeit im Gasthofe an und tranken jeder an seinem Tische Kaffee. Herr Baumeister Hansen fing bald ein Gespräch mit den Herren v. d. Becke an, während ich mich mit meinem Jettchen angenehm unterhielt. Als die Unterredung beendet war, reichte mir Herr Hansen die Hand und lud mich zu einer Tasse Chokolade auf morgen früh 10 Uhr ein. Ich erschien pünktlich, wurde von Herrn Hansen in seiner Arbeitsstube empfangen wo auch gleich darauf Mutter und Tochter eintrafen. Der alte Vater fing damit an, dass ihm seine Tochter alles, was zwischen uns beiden vorgefallen, mitgeteilt, und da er nur Gutes von mir gehört, auch gebilligt hätte. Er hielt nun angemessene Ermahnungen an uns, legte unsere Hände in einander und segnete uns als Verlobte, was auch die Mutter that. Es war ein rührender Augenblick als diese beiden alten würdigen Aeltern ihre Tochter in meine Arme führten und an mein Herz legten. Dass ich mein Versprechen, was ich dabei ablegte, immer treu und redlich gehalten habe, das wird mir der Allwissende bezeugen.- Von diesem Tage an brachte ich jeden Abend im Hansenschen Hause zu und genoss meinen Brautstand auf die angenehmste Art. Unsere Verlobung geschah an einem Mittwoch im September und kaum drei Monate darauf, den 6. Dezember 1797 wurden wir im Hotel de Saxe in Leipzig durch Herrn Pastor Dr. Eucke getraut. Es war eine großartige Hochzeit der aber nur Familienmitglieder, die Familien v. d. Becke und Radius beiwohnten.- Radius sein Geschäft ging ein. Er wurde Makler in Leipzig und starb, bald darauf auch seine Frau.- Es traf sich, dass in Kochshofe im Mittelgebäude die erste Etage, durch den Tod eines Herrn von Ponickau freigeworden war. Diese miethete ich, ließ sie elegant einrichten und wir lebten darin ungefähr 3 Jahre.
Nachdem bezogen- wir die erste Etage in Kochshof nach der Reichsstraße, wo wir ungefähr 30 Jahre wohnten, bis der Tod mein herzlich geliebtes Weib am 3. März 1830 Abends 11 Uhr von dieser Welt abrufte.- Unsere Ehe wurde mit 4 Kindern gesegnet. Eine Tochter, die an Herrn Sohlmann verheiratet, Ein Sohn, der noch lebt und mein Nachfolger wird. Ein zweiter Sohn, der die Rechte studieren wollte und ein talentvoller Jüngling war, war auf der Landesschule in Meißen, besuchte uns zu Weihnachten 1820, kam mit einer Brustentzündung an und starb in Machern den 29. Dezember 1820. Eine Tochter, die am neunten Tage nach ihrer Geburt starb. - Unsere Ehe war glücklich. Meine Frau war meine erste und einzige Liebe und diese Liebe wird erst mit meinem Ende aufhören. Der Himmel schien uns füreinander bestimmt zu haben. Wir waren beide an einem Tage, den 24. Dezember Abends 10 Uhr geboren, meine Frau 1771 und ich 1770.

Mein Schwiegervater und sein jüngerer Bruder hatten von ihrem Vater ein hübsches Vermögen und eine Korbwaarenhandlung bekommen. Beide setzten diese unter der Firma Gebrüder Hansen mit Glück fort, bekamen auch das sächsische Blaufarben Hauptlager und verdienten viel. Diese beiden Brüder galten für die vornehmsten und reichsten Leute in Leipzig, lebten aber still und häuslich. Jeder hatte 4 Kinder und jedes Kind bekam nach dem Tode ihrer Aeltern 30/m Thaler circa. Justus, der aelteste Sohn von meinem Schwiegervater und der Sohn von seinem Bruder Ludolf bekamen die Handlung und überdieß noch viele andere Vorteile vor ihren Geschwistern. Diese beiden spielten aber die großen Herren, verthaten viel, verdienten wenig, vernachlässigten die Geschäfte, das Blaufarben Hauptlager wurde ihnen von der Regierung abgekommen, und die Creditoren konnten nicht befriedigt werden. Ludolf starb und Justus verschwand, schrieb aber seinem Bruder Carl von London, dass er nicht zurückkommen würde.

Beide Familien gerieten dadurch in Verlegenheit. Nach langen Beratschlagungen wurde ich dringend gebeten, die Sache zu übernehmen und zu ordnen.- Nach vielem Zureden übernahm ich es, untersuchte den Stand der Sache, schrieb an Justus nach London, sofort zurück zu kommen, oder wenigstens bis in die Nähe von Leipzig, damit er mir über verschiedenes Auskunft geben könnte, was sich aus den Büchern nicht ersehen ließ. Er kam bis Berlin, verschwendete dort, was er mit genommen an leichte Dirnen, brachte auch später, als ich verlangte, dass er sich Leipzig mehr nähern müsste, eine mit bis Lutritsch, wo er sie einquartierte und unterhielt.- Der Fiskus hatte eine große Summe zu fordern, an diesen wendete ich mich zuerst und erlangte durch Beistand des Herrn Geheimrath von Gutschmidt, den ich gut kannte, einen billigen Vergleich. Alsdann ging ich zu den beiden anderen Gläubigern und verglich mich mit ihnen. Nachdem ich mit allen sehr gut abgemacht, übergab ich dem Rath – an den die Sache schon gelangt war, meine Berechnung über Alles, erhielt dessen Beifall und Lob, sowie auch den Dank der Familien. Von meinem Schwager Justus erhielt ich keinen Dank; ich hatte ihn beleidigt, weil ich ihm in einem Briefe bittere Vorwürfe gemacht, dass, während ich herumlief für m zu accordieren er auf die leichtsinnigste Art Zeit und Geld an luderliche Personen verschwendete. Als Schwager und Vertreter der Messe hielt ich mich dazu berechtigt !- Da ich nun alles berichtigt hatte, kam Justus wieder zurück, bezog das Haus, was ihm von seinem Vater für 48/m Thaler vermacht, aber über 100/m Thaler Werth hatte und konnte wieder ein herrliches Leben führen. Er heirathete auch ein der von Berlin mitgebrachten Schönen und vermachte ihr das Haus nach 1846.

Nach dem Testament des Vaters sollte das Haus immer bei der Familie Hansen bleiben und der älteste Sohn bekommen. Sonach hätte der jüngere Bruder Carl das Haus bekommen müssen. Durch ein kleines Versehen im Testament ist ihm dieses aber im Prozess abgesprochen. Die Schwester von meiner Frau hatte den ältesten Sohn des Tuchfabrikanten Oehler in Crimmitschau geheirateth. Sein Vater schickte ihn nach Spanien zum Verkauf seiner Fabrikate. Er hatte auch viel verkauft, das dafür eingenommene Geld verschwendet und überdies noch Schulden gemacht, auch später nach des Vaters Tode, da er Associer seiner Brüder war, viel Wechsel auf die Firma ausgestellt, dass er davonlaufen musste. Frau und 2 Kinder ließ er zurück. Auch hier musste ich viel Beistand leisten. Der jüngere Bruder meiner Frau, Carl hatte die Rechte studirt, aber wenig gelernt. Er zehrte immer von seinem und seiner Frau, geborene Linke, welche ihm 30/m Thaler mitgebracht hatte, Vermögen, bis es vertan war, verdiente wenig oder nichts, starb und hinterließ seinen Kindern nichts. Dazu trug die Frau auch ihr Theil bei, weil sie ihren schwachen Mann zu Ausgaben verleitete, die unnötig und ihrem Vermögen nicht angemessen waren. Die beiden Brüder meiner Frau waren leichtsinnig, schwärmten manche Nacht außer dem Haus und verthaten viel Geld. Ich erfuhr das und sagte es meinem Schwiegervater im Vertrauen mit dem guten Rat, ein wachsames Auge auf seine Söhne zu haben. Hierauf ließ er mich durch meine Frau bitten, nicht wieder mit ihm über das Betragen seiner Söhne zu sprechen denn das, was ich ihm mitgetelt, wäre Verläumdung. Ich befolgte seine Bitte und schwieg fortan. Was würde der gute alte Mann jetzt sagen, wenn er wieder auf Erden erschiene? Ich führe diese Geschichte deshalb an, um zu zeigen wie ansehnliche und reiche Familien durch schlechte Wirtschafth ihrer Kinder um alles, was sie sauer erworben kommen können. - Mein Schwiegervater war ein guter ehrwürdiger Mann aber schwach gegen seine Söhne. Wehe denen Kindern, die von der Wiege an verzogen werden und wissen dass ihre Aeltern Vermögen für sie gesammelt haben. Kinder und Enkel! Für Euch schreibe ich diesen meinen Lebenslauf und warne Euch, Euch nie auf Vermögen, was Ihr vielleicht erben könnt zu verlassen. Es ist trüglich und bringt häufig mehr Schaden als Nutzen. Das sicherste Vermögen, was Ihr Euch erwerben könnt, ist das was Ihr selbst gewählt vollkommen zu lernen, Fleiß und Sparsamkeit. Ein solches Vermögen, was Euch nicht geraubt werden kann, hat wahren Werth und bringt gute Früchte. -

 

Wohl dem selig muß ich ihn preisen,
Der in der Stille der ländlichen Flur,
Fern von des Lebens verworrenen Creisen
Kindlich liegt an der Brust der Natur
Schiller

 

Machern, mein liebes Machern
fängt mit der dritten Abteilung meiner Lebensgeschichte an und spielt darin eine große Rolle. - Auf dem Landes geboren und schon in meiner frühen Jugend mich viel mit der Landwirthschaft beschäftigt war mein Wunsch immer, wenn mich dereinst das Glück begünstigen würde, mich mit derselben in älteren Tagen wieder widmen zu können. Schon 1805 war mein Vermögen derart, dass ich meine früheren Wünsche erfüllen konnte. - Machern, wo ich meiner guten Frau meine Liebe angetragen und Gegenliebe erhalten hatte, war immer das Gut, wonach ich mich sehnte. Diese Besitzung war erst 3 Jahre vorher von dem Freiherrn von Wylich auf Diersfurt bei Wesel von dem Grafen von Lindenau gekauft worden. Baron von Wylich war reformiert und konnte nach damaliger Verfassung, das Gut nicht in Lehn bekommen, sowie Gemahlin geb. Gräfin von Stollberg Wernigerrode musste es in Lehn nehmen, was dem Baron, der das vorher nicht gewusst und daher keine Kinder hatte, sehr missfallen. Dieses erfuhr ich zufällig. - Ich kam auf den Einfall, den 5. November 1805 einen Brief von einem vorgeblichen Freunde an mich selbst zu schreiben und die Frage darin zu stellen, ob Machern wohl zu verkaufen, und wer der jetzige Besitzer davon wäre.

Diesen Brief habe ich zum Andenken aufgehoben und lege ihn hier bei. Mit diesem erfundenen Briefe ging ich zu dem Gerichtsverwalter von Machern, Herrn Amtsinspector Kreissig – später Amtscommissar – der in Leipzig wohnte, brachte ihm den Brief vor und sprach darüber mit ihm. Dieser versicherte mir, dass er von dem Gerücht, dass Machern wieder sollte verkauft werden, nichts wüsste, versprach aber auf meine Bitte, bei dem Baron v. Wylich deshalb anzufragen. Die Antwort war: Nein! Jetzt erkundigte ich mich nach anderen Gütern, ließ mir Anschläge davon kommen, aber keines wollte mir gefallen. Herr Baron von Wylich, der hochgestellte Verwandte am preußischen Hofe hatte und auch Frankreich nahe war, hatte erfahren, dass nächstens Krieg zwischen Preußen und Frankreich ausbrechen würde. Seine Ansicht, dass in diesem Kriege wie in den Vorigen, auch jetzt die Franzosen siegen, Sachsen mit Truppen überschwemmen, Machern, als einem preußischen Edelmann gehörig, umso mehr strafen würden, hatte ihn bewogen, an Kreissig zu schreiben dass er nach reifer Überlegung sich entschlossen, Machern und Zeititz wieder zu verkaufen, weil sie zu weit entfernt wären. Nachdem Herr Kreissig, diese für mich angenehme Nachricht mir mitgetheilt hatte, ließ ich mir von ihm Anschlag und Bedingung geben, fuhr nach Machern und Zeititz, besah mir die Güter und machte dagegen meine Vorschläge. Der Baron von Wylich verlangte fast denselben Preis den der dafür den Grafen Lindenau bezahlt. Nach kurzem Briefwechsel, der durch Kreissig geführt wurde, waren wir einig und am 1. März 1806 war ich Besitzer der Rittergüter Machern und Zeititz. Der Baron war kurz und bündig, ich von raschem Entschluss, darum war das Geschäft bald abgemacht. Die Herrn v. d. Becke und Kuiper waren mit meinem Unternehmen gleich vom Anfang bekannt, konnten aber weder ja, noch nein dazu sagen, weil ihm die Güter fremd waren.
Ich hatte bei diesem Geschäft weder Oekonomische noch andere Rathgeber, auch selbst gar keine ökonomische Kenntnisse. Nach dem erhaltenen Anschlage machte ich meine Berechnung und verließ mich auf mein gut Glück.

Ich hatte theuer gekauft, aber damals hatten die Güter den höchsten Preis und die kleineren Güter waren verhältnismäßig noch theurer. Ein kleines Gut hätte mich auch nicht hinlänglich beschäftigen können, weil ich zu sehr, durch meine Handlung, an große Geschäfte gewohnt war. Die Güter waren in einem sehr schlechten Zustande. Graf von Lindenau hatte mehr auf Anlegung eines Parks und großartige Lustgebäude verwendet als auf die Oekonomie. Baron von Wylich lebte weit entfernt und war nur im Sommer 4 Wochen in Machern. Sein Verwalter Braun bewirthschaftete sie schlecht, war immer abwesend und verstand nichts. Seine Frau war eine sehr gute, brave Wirthin, musste die Knechte anstellen und den Verwalter machen. Ihre Tochter von 10 Jahren wurde von ihrer Mutter gut erzogen und der Bankier Schmidt heirathete sie.

Ich hatte mich verbindlich gemacht, alle Dienstleute noch ½ Jahr zu behalten. Braun aber gab ich sein halbjährliches Lohn und verabschiedete ihn. Die Frau, die ich gern behalten hätte, dauerte mich. Als Braun sehr frühzeitig am Morgen abgezogen war, hatte er alle Tauben mitgenommen und sie für sein Eigentum erklärt. Mein erster Anfang war schwer und kostete mir viel Lehrgeld. Ich machte nun eine kurze Zeit selber den Verwalter und mein Schäfer Rasch stand mir bei. Bald erhielt ich einen Verwalter Klemmen, der aber leider nicht viel Kenntnisse hatte, viel Geld ausgab, aber die Wirthschaft nicht verbesserte, doch hatte er hier mehr gelernt, als er mitgebracht. - Ich bekümmerte mich nun um alles selbst, ganz genau, war überall gegenwärtig und hatte mir soviel Kenntnisse erworben, dass ich selber anstellen konnte. Einer so großen Wirthschaft vorzustehen, war für mich schwer, besonders da ich auch abwechselnd in der Handlung gegenwärtig sein musste.- Ich nahm einen anderen Verwalter an mit dem ich mehr zufrieden war, und es fing schon an, besser zu werden, als leider des Baron v. Wylich seine Befürchtung zu bald eintraf. Den ältesten Sohn meines Stiefbruders ließ ich kommen, die Oekonomie hier zu lernen. Dieser mußte aber zurück um Soldat zu werden. Er war mit in Spanien, wurde Rittmeister, erhielt den Abschied und eine Zivilanstellung. Nun schickte er mir einen jüngeren Sohn, mit dem ich aber nichts anfangen konnte und ihn wieder zurücksandte. Er war geistesschwach und starb bald darauf, ich habe ihn bis an sein Ende unterstützt.

Der Krieg zwischen Preußen und Frankreich brach aus. Mitte Juni 1806 kam schon ein Preußisches Regiment als Einquartierung und hielt Rasttag. Mehrere folgten. Am 24. Oktober war die große Schlacht bei Jena. Napoleon war Sieger. Die Preußische Armee war ganz geschlagen, zerstreut, verfolgt bis an die Ostsee, und die Franzosen überzogen ganz Deutschland mit ihren Schaaren. Einquartierungen, Naturallieferungen, Contributionen hörten nicht auf. Machern an der Hauptstraße Sachsens gelegen, wurde unbarmherzig mitgenommen sodaß zuweilen für Menschen und Vieh Bedürfnisse des Lebens mangelten, auch nicht zu haben waren.- Mich traf das Schicksal doppelt, als Kaufmann und Gutsbesitzer. In Leipzig hatte ich ein großes Logis und mußte viel Einquartierung nehmen die in die Gasthöfe für meine Rechnung gelegt wurden, weil ich nicht immer dort war. Dieser unglückliche Zustand dauerte abwechselnd, bis nach dem pariser Frieden.- Der Verlust, den ich auf beiden Seiten erlitt, war sehr groß und hatte mein Vermögen über die Hälfte weggerafft. Als ich die Rittergüter Machern und Zeititz kaufte, konnte ich sie nicht allein baar bezahlen, sondern ich behielt auch noch eine hübsche Summe übrig. Alle Wiederwärtigkeiten, die ich durch Banquerotte und Krieg erlitt: Hagelschlag, der den 28. August 1810 mein ganzes Sommergetreide, Kartoffeln, Kraut, Grumt pp. traf: das Abbrennen des Schafstalles und des Schafhauses mit ca. 50 Schafen am Himmelfahrtstag 1816 und dergleichen mehr, habe ich geduldig ohne Murren ertragen und nie den Muth verlohren. Ich kann sagen, dass die vielen Mißgeschicke, die ich erlebt, meinen Charakter gestählt haben. Mein Glaube ist, daß alles, was mir begegnete, ein Glied in der Kette meines Lebens ist und darum kann mich auch ein Unglück nicht beugen, noch ein Glück überfröhlich machen.

Auf dem Zuge der Franzosen nach Rußland und der ewig merkwürdig bleibenden Flucht daher, wieder zurück, die Schlachten bei Dresden und Culm bei Teplitz, alles dies traf Machern und Zeititz sehr hart. Bald zeigten sich die ersten Kosacken, die heute von den Franzosen vertrieben, morgen wieder da waren, und das ging eine Zeitlang so fort; den ganzen Sommer 1813 wurden wir damit geplagt.- Jetzt hörte man, daß sich von allen Seiten große Massen Truppen nach Leipzig zogen und dass dort wohl eine Schlacht stattfinden würde. Die Leipziger Michaely Messe war nahe, aber niemand dachte an Geschäfte. Ich verließ Machern und fuhr mit Frau und Kindern nach Leipzig. Hier wimmelte es in allen Straßen von Franzosen. Ich bekam als Einquartierung einen Commissair Ordonnateur en Chef mit Frau. Diese arbeitete immer bei Bertram, dem Commandent von Leipzig [gemeint ist wohl Napoleons Vertrauter Henri-Gatien Bertrand] und erzählte mir, was vorging. Einen Mittag brachte er die Nachricht, daß Napoleon die Preußen geschlagen und in diesem Augenblick schon wieder in Berlin wäre. In Leipzig wußte man das Gegenteil. Dieses war am 14. Oktober. Ich ging auf den Boden von Kochshof, mehrmal des Tages, um aus dem Dachfenster zu sehen, ob sich Truppen um Leipzig versammelten. Hier konnte ich die ganze Umgebung beobachten. An diesem Tage – Mittags – sah ich eine große Masse Franzosen, sich dem Hallischen Thore nähern und bemerkte durch mein Teloscop, ein guter Ramsden, dass es Napoleon selbst war. Ich sagte dieses dem Ordonnateur, der es nicht glauben wollte, bis er sich davon selbst überzeugte und nun damit zu Bertram eilte.

Napoleon zog mit seinem Corps durch die Allee zum Grimmaischen Thore hinaus und setzte sich auf einen Stuhl in der Gegend des ehemaligen Galgen. Tisch und Stuhl wurden von dem Thorschreiber genommen.- Die Erde war mit Franzosen bedeckt. Den 15.ten hörte man schon Kanonieren. Die Alliirten waren auch angekommen. Den 16.ten wurde es ernsthafter, den 17.ten war auf einige Stunden Stillstand. Der Ordonnateur kam 17.ten spät zum Abendessen und sagte: Dringende Arbeit hätte ihn abgehalten.

Bertram [gemeint ist wohl Napoleons Vertrauter Henri-Gatien Bertrand] hatte ein Billet von Napoleon erhalten, worin nur gestanden: - Der Weg nach Lindenau ist frei - worauf Bertram in größter Eile Befehl gegeben, alles was er konnte auf diesem Wege wegzuschaffen. Wirklich war auch die ganze Nacht viel Fuhrwerk was zum Ranstädter Thor hinaus ging.- Napoleon hatte wahrscheinlich schon eingesehen, daß die Sachen nicht gut für ihn stünden. Den 18. war Hauptschlacht und die Alliirten Sieger. Den 19. Mittag zogen die Verbündeten in Leipzig ein, der König von Preußen, der österreich. Kaiser und russische Kaiser kamen zusammen auf den Markt mit ihren Generalen und begrüßten sich. Ich sah dies vom Balkon des Kochshofs mit an. Es war ein erhabenes Schauspiel alle diese hohen Häupter als Sieger hier vereint zu sehen.

Fürst Repnin, der zum Generalgouverneur von Sachsen von den 3 Monarchen bestimmt war [es handelt sich mit vollem Namen um Nikolai Grigorjewitsch Repnin-Wolkonski, der russischer General war und nach der Völkerschlacht zum Generalgouverneur über Sachsen bestimmt war, als Vizekönig], sollte bei mir einquartiert werden. Kaiser Alexander aber, der sein Quartier in Hilligs Hause hatte, behielt ihn bei sich. Repnin seine 2 Adjutanten nahmen nun Logis bei mir. Repnin schickte mir durch diese 2 Dukaten und ließ mich bitten, ihm dafür gute Weine zu senden zur Stärkung. Ich schickte ihm einen Korb voll der ihm gut geschmeckt hatte. Die Adjutanten wohnten nun bei mir verlangten früh Kaffee und Frühstück, speiseten aber
beim Fürsten zu Mittag. Abends verlangten sie zuweilen Punsch wozu sie Freunde einladeten.

Ich machte Repnin meinen Besuch, was er gut aufnahm und mich den anderen Tag durch die Adjutanten fragen ließ, ob ich wünschte ein Amt bei der Stadt zu bekleiten. Ich dankte dafür höflich, schickte ihm einen Karpfen von 33 Pfund Gewicht und bat ihn durch die Adjutanten, mir einen Sauve Garde für Machern zu geben, weil Gut und Dorf von alten Lasten soviel getragen, dass keine Lebensmittel für Mensch und Vieh mehr vorhanden und dieser Ort für lange Zeit ruiniert sei. Der Wunderkarpfen wirkte. Ein paar Tage darauf brachten mir die Adjutatnten eine Sicherheitskarte, welche Machern für Einquartierungen und Lieferungen schützte. Diese Karte war von großem Nutzen und brachte mehr ein als das mir zugedachte Amt und Titel

Von meiner Abreise von Machern bis nach der Schlacht von Leipzig hatte ich Hier viel gelitten. Immerwährend Einquartierung von Alliirten und Franzosen, 2 Tage vor der Schlacht waren Hier 1 Tag und 1 Nacht 33.000 Mann. Oesterreicher mit General Ginley pp., die gehörig aufgeräumt hatten. Verwalter und alle meine Leute hatten 3 Tage kein Brot gehabt.- Nach und nach hatte ich 31 Stück von meinem großen schweizer Rindvieh eingebüßt, die gewaltsam aus dem Stall genomen und gleich vor unseren Augen geschlachtet oder abgeführt wurden. Aber 100 Klafter Holz wurden aus dem Holzhofe in die Lager geschafft. Gedroschener Hafer wurden den Pferden auf die Erde geschüttet und nicht gedroschener auf Wagen abgeführt und die Garben den Pferden vorgelegt. Als das Armeecorps der Oesterreicher erschienen, hatte der Verwalter fast alles Rindvieh in meinem Holz versteckt. Dies hatte ein machernscher Bauer verrathen ist aber von einem Offiizier dafür mit Verachtung gestraft worden.- Die Sicherheitskarte, die ich mir vom Fürsten Repnin für Machern erbeten, hatte demselben viel Nutzen verschafft und hätte wohl einen Dank verdient. Statt dessen wurde ich von 15 Bauern – nach dem Frieden – Helbriegel, 3 Porschmännern, Schmidt und 10 Andere, verklagt, daß ich zu wenig Einquartierung gehabt. Die größere Hälfte der Gemeinde trat dieser ungerechten Klage nicht bei. Eine Commission von Amtmann, Schoppencommissar pp. kamen zur Untersuchung hierhin und fanden nach Durchsicht der Belege, daß ich eine große Anzahl zuviel gehabt hätte. Die Kläger wurden nun gebührend und beschämt abgewiesen.

Einige Tage nach der Schlacht von Leipzig bekam ich das Nervenfieber und musste 8 Wochen das Bett hüten. Ich war dem Tode nahe, aber meine gute Natur brachte mich durch. Nachdem ich wieder besser war, fuhr ich nach Machern, fand aber statt Erholung nur Verwüstung.