Vom fragwürdigen und vom rechten Bittgebet...
Predigt zu 1. Tim 2, 1-6a, gehalten am Sonntag Rogate, 16.5.2004,
in der Katharinenkapelle Essentho und in der Christuskirche Bredelar
(im damaligen Kirchenkreis Arnsberg - bei Marsberg)
 




Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.

Wir hören den Predigttext für den Sonntag Rogate / Betet, wie er heute morgen überall in den evangelischen Kirchen gepredigt wird, 1. Timotheus 2, die Verse 1 bis 6:

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der  sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.

Liebe Gemeinde hier in Essentho/Bredelar!

Rogate - Ausrufezeichen! Betet – Ausrufezeichen! So steht es als Überschrift über diesem Gottesdienst am 16. Mai – so steht es (indirekt) auch als Überschrift über diesem eben gehörten Predigttext aus 1. Timotheus 2:  

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit…


Was für Gefühle haben Sie eigentlich, liebe Gemeinde, wenn sie das hören? Klingt ein bisschen hausbacken und recht altfränkisch, altmodisch, mögen manche denken… Man kann es auch positiv sehen, ich selbst muss bei dieser Aufforderung zum Beten an meine Oma damals denken, die – bevor wir Kinder in die Schule gingen – uns was ans Herz legte, was in ihrem Sprichwort so hieß: „Geh ohn Gebet und Gotteswort niemals aus deinem Hause fort!“ Für meine Oma damals war Beten die selbstverständlichste Sache der Welt, und das war gut; deshalb sagte sie sinngemäß mit diesem Spruch: Kinder, betet – Ausrufezeichen! Rogate  - Ausrufezeichen!

Wir wissen, heute ist das nicht mehr so selbstverständlich – so ähnlich wie vorigen Sonntag bei Cantate – Singet! Mancher sagt da: auch wenn du mich aufforderst, ich kann es aber nicht; mein Mund bleibt zu! Ja, die vier schönen Dinge unseres Textes „Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung“ – all das überlassen viele lieber sonntags in der Kirche dem Pastor...  So haben diese vier Sorten des Betens ihren gewohnheitsmäßigen Platz im Gottesdienst. Aber dass erwachsene Menschen beten, dass sie zu Hause bitten, beten, Fürbitte üben und danksagen, das ist - denke ich - gar nicht so selbstverständlich... Eine Frage stellt sich uns allen zusammen heute - angesichts dieses Textes: Was ist das mit dem Beten? Welchen Sinn hat es heute für erwachsene Menschen zu beten? Und diese Frage fächert sich dann auf: Hat Beten überhaupt einen Sinn: Gott zu bitten, ein Bittgebet zu sprechen? Ist das nicht allzu naiv und kindlich? Und so ein Bittgebet, wie es da steht:
für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit... - klingt das nicht allzusehr - wie Beten überhaupt - einer vergangenen Zeit zugehörig? Ist das möglicherweise sogar gefährlich, weil „denen da oben“ das Beten der Untertanen oft gut in den Kram passte: betende Untertanen sind ja ruhige und angepasste, dachten die bekanntlich sehr oft, dann kann man ja ungestörter herrschen... Und heute noch sind ja die USA ein Beispiel dafür, dass die Regierung mit eigenem Beten sich den Krieg und die dabei und danach geschehenen Verbrechen offenbar vielfach geschönt und kaschiert hat, wo es so schien, als wär' Beten ein ganz egoistisches Selbstberuhigungsmittel, um besser Schlimmes tun zu können...

Dazu hat der Dichter Wolfdietrich Schnurre eine schöne kleine witzig klingende Geschichte mit ernstem Hintergrund geschrieben mit der Überschrift: „Die schwierige Lage Gottes“. Und diese Geschichte geht so: “Und verschone uns mit Feuer, Missernten und vor allem verschone und vor diesen schrecklichen Heuschreckenschwärmen, die unsere Felder verwüsten und abfressen“, so beteten die Farmer in ihrer Kirche am Sonntagmorgen. Zu gleicher Zeit - so heißt es da in Schnurres kleiner Geschichte - hielten die Heuschrecken an jenem Morgen einen Bittgotesdienst ab, in welchem das Gebet der versammelten Heuschrecken lautete: „Und schlage, Herr, den Feind mit Blindheit, auf dass wir nicht umkommen und dann als Geschen deiner Gnade in Ruhe seine Felder abnagen können.“

Und liebe Gemeinde, ich denke, mit dieser Schnurre-Geschichte kommt vollends eine Frage raus, die an diesem Sonntag zu dem gehörten Text aus 1. Tim. 2 einfach zu stellen ist: Können unsere Bittgebete nicht geradezu gefährlicher Unsinn sein, kindischer egoistischer Unsinn? Dass man Gott quasi in jene absurde „schwierige Lage“ bringt wie da bei den Heuschrecken und bei den Farmern!

Und wer von uns da Schnurre entgegnen würde, dass seine Geschichte Quatsch ist, weil ja Heuschrecken zum Glück nicht beten und so Gott in Bittgottesdiensten nicht in diese schlimme Lage bringen können, dem kann ich die gleiche Geschichte auch anders erzählen, mit der Überschrift: „Das Gebet für die Obrigkeit“ - und das ist die leider wahre Geschichte, dass im Jahr 1914 die deutschen Soldaten ausmarschierten mit dem Spruch „Gott mit uns“ auf den Koppelschlössern eingraviert, und dass da die Pastoren und Feldprediger gebetet haben, gebetet für den Kaiser, für den deutschen Sieg und die Vernichtung der Feinde, während etwa auf russischer Weise ganz ähnlich gebetet wurde, für die dortige Obrigkeit und den russischen Sieg... Ja, liebe Gemeinde, da kann man schon ins Schleudern kommen bei diesem Thema Bittgebet und bei dem Fürbittgebet für die Obrigkeit, worum es im heutigen Predigttext geht! Und ich denke, es ist sogar gut, wenn man da ins Schleudern kommt und tiefer nachdenkt über den wirklichen Sinn des Betens bei unseren Fürbitten!

Denn - kurz gesagt: es gibt Gebete, die sind vom Teufel, das sind ganz verkappte egoistische Wunschträume, mit denen der Mensch sich selbst feiert und den Sieg der eigenen Sache, Und wohl noch eins der harmloseren Gebete dieser Sorte war mein Gebet als kleiner Junge, als meine Mutter abends an mein Bettchen kam und sie mit mir wie immer das Abendgebet sprach und dann rausging - und ich wusste, sie war noch vor der Tür und lauschte, ob ich schlief. Aber ich schlief nicht, sondern betete weiter, betete extra laut, dass sie es vor der Tür hören musste: „Lieber Gott, mach Du meiner Mutter doch klar, dass sie mir endlich einen Roller kauft. Amen“.

Schindluder treiben mit Beten, das fängt bei den Heuschrecken an und den Koppelschlössern, das geht weiter bei dem kleinen Jungen, der einen Roller haben wollte und mit Beten seine Mutter manipulieren wollte, und da wüsste ich noch viele Beispiele von! Beispiele von Leuten, die in Krankheitsnot, als sie am Nullpunkt waren, mich baten: „Herr Pastor, beten Sie doch für mich oder mit mir“, und die in jener Situation alles Mögliche gelobten, was sie im Falle der Erhörung tun würden. Und dann nachher, als sie wieder fit waren, da auf einmal ganz anders: da war es nur Zufall und da hatte ihnen angeblich ganz normal die Kunst der Ärzte geholfen, von Gott war danach keine Rede mehr...

Im heutigen Predigttext, liebe Gemeinde, aus 1. Tim. 2, dem Teil einer urchristlichen Gemeindeordnung, wie die Ausleger sagen, da werden wir in die Schule genommen, in die Schule des Gebets. Und da wird - wenn wir genau hinsehen - gerade bei all den Fragezeichen und eben aufgeworfenen Fragen ein Weg gezeigt, wie wir nicht kindisch und egoistisch beten, sondern wie wir wirklich christlich beten lernen können! Da lernen wir, wie solche ein Gebet unsere Umwelt verändert - wie unser Beten auf die Kirche und die Gesellschaft einwirkt und da nach Gottes Willen auch uns selbst verändert!

Denn man muss es richtig verstehen, was das heißt, wenn da zum Gebet aufgefordert wird, gerade auch zum Gebet für alle Obrigkeit, dass man ein ruhiges Leben führt. Das ist nämlich damals in eine Zeit hineingesagt, als am Ende des 1. Jahrhunderts nach Chr. und am Anfang des 2. Jahrhunderts die Könige und alle Obrigkeit keineswegs die besten Freunde und Sozialpartner der jungen Christengemeinde waren, sondern ganz im Gegenteil: Es waren jene Zeiten, als die Christenverfolgungen losbrachen, als der Kaiser von Rom sich zum Gott aufspielte und für seine Person Anbetung als Gott verlangte, was viele Christen ihm verweigerten. Was da im römischen Reich seit dem Jahr 64 los war im Blick auf die Verfolgung der Christen, seitdem Kaiser Nero schrecklich in Rom gegen sie losgewütet hatte, das kann man so zusammenfassen: Gebet für die Obrigkeit, das haben die Christen immer geübt, aber auch Widerstand gegen die Obrigkeit haben sie geleistet, denn da wo die Obrigkeit sich selbst zum Gott machte, da konnten sie nicht mitmachen, da sind sie oft lieber gestorben für den Glauben als sich anzupassen an das von Ihnen Geforderte. Ich lese das so, dass in unserm Text, in jener urchristlichen Gemeindeordnug sich das beides widerspiegelt. Wenn da zum Gebet für die Könige und alle Obrigkeit aufgefordert ist, dann ist das wirklich für viele Christen jener Zeit wohl durchaus eine Gebet der Feindesliebe gewesen, ganz im Geiste Jesu, der ja am Kreuz noch betete: „Vater vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“

Liebe Gemeinde, so verstanden ist das mit „Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und Obrigkeit“ in unserm heutigen Text nicht so ein konservatives Beispiel für leisetreterische Obrigkeitshörigkeit, denke ich. Das heißt da nicht: Die oben haben immer Recht! Das ist auch nicht so ein teuflisch-egoistisches Beten wie damals im 1. Weltkrieg, als deutsche und russische Menschen „gegeneinander“ beteten um den Sieg ihrer Seite, sondern hier in 1. Tim. 2, da ist das wirkliche Bittgebet im Geiste des lebendigen Jesus Christus gemeint: dass selbst da im großen politischen Bereich trotz allen Bedrängnissen sichtbar bleibt, dass Jesus der Sieger ist und im Regiment sitzt. Deswegen steht da in 1. Tim. 2 auch ein Satz als entscheidende Perspektive wirklichen christlichen Betens, das erhört werden wird. Und dieser entscheidende Satz zum Beten heißt:
Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen! Und direkt dahinter steht in unserm Text: Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der  sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung... Das ist der springende Punkt!  

So ist das, was da in den diesen beiden Sätzen am Ende unseres Predigttextes steht, ein wunderbares Angebot heute morgen für mich und für Sie alle, in der Schule des Gebets was Entscheidendes und was Grundwichtiges für unser Leben zu lernen! Ich lerne daraus für mich: Beten hat eine Chance allein, wenn da nicht mein Egoismus, sondern Jesus, mein Herr, ganz und gar die Mitte ist. ER ist der Mittler zwischen Gott und uns Menschen, und da brauche ich keine Mutter Maria als Mittlerin, und keine Heiligen, die anzurufen sind. Das mit dem Mittler, das macht ER ganz allein  - und wo ER, der Mittler die Mitte ist, da steht der Satz richtungsweisend bei allem Beten im Zentrum, dass allen Menschen geholfen werden soll, damit sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen!

Praktisch heißt das: wo ich vor der Predigt bete, dass es eine Predigt im Namen Jesu wird, wo Sie vor einem Gottesdienst wirklich beten am Anfang und nicht bloß stehend bis 20 zählen, wie manche das tun, da wird die Predigt und der Gottesdienst was ausrichten und wirklich was verändern bei uns... Praktisch heißt das: wo ich für meine Kinder und mein kleines Enkelkind im Namen Jesu bete, da wird sich was Entscheidendes ändern - sowohl bei meinen Kindern und Enkeln, als auch in mir selbst. Denn wenn ich für einen Menschen bete und da Gott die Mitte sein lasse, da kann ich nicht mehr unkritisch und gleichgültig an den Anliegen dieses  Menschen vorbeileben!

Das bezieht sich genau so auf viele Gebiete, bis hin zu unserer Gemeinde und unserer Stadt: wenn wir für sie beten,  werden auch wir selbst verändert: Beten ist - so verstanden - Weltveränderung, und als Betender werde ich selbst von Gott verändert, dass ich sensibler und aktiver merke, was für mich zu tun dran ist! 

Unser  Text nimmt uns in die Schule des Gebets und  sagt dir und mir: versuch’s neu, nimm dir Zeit, auch zu Hause! Probier es da mit neu mit Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung, und du wirst merken, dass solch ein Gebet, in dem Jesus der einzige Mittler ist, dich und durch dich die Welt verändert! So gebetet nämlich geht keine einzige Bitte verloren! So gebetet, können weder Katastrophen im Großen noch Hiobsbotschaften in der Kirche das Grundvertrauen erschüttern, dass weder Bush noch Nero, weder Schröder noch die Deutsche Bank der Herr der Welt ist. Der Herr der Welt, der Mittler allen rechten Betens, der alles wenden kann, hat den Namen Jesus und keinen anderen!  Und das gilt auch im ganz Kleinen: versuch’s mal, dass du bewusst für den Glauben deines Enkel- oder Patenkindes betest, für den Glauben all der Konfirmierten jetzt in der Gemeinde Marsberg, für die Zahl der Gottesdienstbesucher hier - da wird Beten eine große Veränderung schaffen!

In diesem Sinn steht am Ende nur der Satz vom Anfang: Rogate, betet, Ausrufezeichen, dass wir neu was erfahren von diesem einzigen Mittler Jesus, der Leben hat, der will, dass wir und Menschen um uns rum zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und Frieden kriegen, mit ihm und Frieden untereinander! Alle sollen es wissen, die das Beten nie gelernt haben und keine eigene Mitte haben und keinen Sinn im Leben: Mitte ist dieser eine, den man betend finden: ER, unser Herr, der Mensch Christus
Jesus, der  sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung. Amen.

 

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